Die Freie Republik von Clairefontaine

Die Freie Republik von Clairefontaine

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Jerrry Frantz ist Staatspräsident der Freien Republik von Clairefontaine. Die hat zwar weder Land noch Öl, doch dafür originelle Ideen. Ortsbesuch bei einem dadaistisch-anarchistischen Künstler, pardon: Herrscher.

Im Mai feiert die junge Republik ihr zehnjähriges Bestehen. Grund genug, um dem Präsidenten des landlosen Staates
einen Besuch abzustatten:

Pratz ist mehr als nur ein idyllisches Dorf der Gemeinde Préizerdaul. Hier wohnt und arbeitet der Gründer und Präsident der „République libre de Clairefontaine“, Jerry Frantz. Als wir zur Verabredung kommen, wartet er bereits vor der Tür seines Ateliers. Dieses strahlt ein anarchistisch-dadaistisch-chaotisches Flair aus. In einem Raum stapeln sich Kunstdrucke und Bilder, an einer Wand stehen eine Reihe von pornografischen Drucken, übrig geblieben von einer Ausstellung in der Galerie „Neit Liicht“ in Düdelingen. Auf einem Regal finden sich Granatenhülsen, sogenannte Grabenkunst aus dem Zweiten Welkrieg, wieder, daneben liegen Bombenattrapen; für einen anarchistischen Künstler ist das wohl nichts Ungewöhnliches.

Auf die Frage, ob die echt seien, antwortet er breit grinsend und lapidar: „Natürlich.“ Da man einen Republikgründer ja nicht alle Tage trifft, wollten wir natürlich wissen, wie es zu seinem „Staat“ kam. Was folgt, ist eine Geschichte, in der sich Wahrheit und Schöpfung zu einer neuen Realität verdichten.

Projekt für die Kulturhauptstadt

Wir schreiben das Jahr 2007. Luxemburg ist zum zweiten Mal Kulturhauptstadt Europas. Gute Ideen werden dringend benötigt. Eine der guten kommt aus Pratz. Der Aktionskünstler, Grafiker, Fotograf und Dadaist Jerry Frantz gründet mit Gleichgesinnten – seinen späteren Ministern – die Freie Republik Clairefontaine.

Wie kommt man auf eine solche Idee? Der Gründungsmythos der jungen Republik reicht laut ihrem Präsidenten bis ins 13. Jahrhundert zurück. Am 19. März 1246 veranlasste die Gräfin von Luxemburg, Ermesinde II., per Testamentsnachtrag Folgendes: Falls das Ende der Welt nicht nach dem folgenden Jahrtausend eingetreten sei und ihre Ländereien so zerstückelt seien, dass ihre Gebeine nicht in luxemburgischen Lande ruhen, soll die Abtei Clairefontaine („das Zentrum der Welt“) Ausgangspunkt einer neuen Bewegung werden. Allen Menschen sollen in einer freien Republik die Freiheiten gewährleistet werden, die sie (Ermesinde) den Menschen zugesichert hat.

Die Gräfin erschien ihm im Traum

Woher Frantz das alles weiß? Nun, die Gräfin erschien ihm im Traum, wo sie sich bitter über die moderne Welt beschwerte und ihn beauftragte, den perfekten Staat zu gründen. So weit der Mythos, frei erfunden von Jerry Frantz. Das Projekt gefiel den damaligen Organisatoren der Kulturhauptstadt und so wurde die „Freie Republik“ in das Programm aufgenommen. Frantz wollte das Projekt auch auf der Webseite der Gemeinde Clairefontaine präsentieren. Die Verantwortlichen dort seien anfangs auch interessiert gewesen. Wegen des Namens Ermesinde dachten sie aber wohl eher an etwas Fokloristisches, glaubt Frantz. Als sie jedoch merkten, um was es ging, sei es mit ihrem Enthusiasmus vorbei gewesen.

Die Gründung der Republik fand am 5. Mai 2007 auf dem Kirchplatz in Beckerich statt, wo sich anfangs auch die Regierung befand, „Im Exil“, betont Frantz grinsend. „Clairefontaine war ja besetzt.“

Die Republik besitzt eine eigene Verfassung (eine „ConstRition“, der Buchstabe R gilt in der freien Republik mehr als die anderen und ist deshalb oft großgeschrieben) und eine Hymne, alle beide von Jean Portante verfasst. Die Regierung besteht aus Persönlichkeiten aus Kunst, Politik und Gesellschaft. Danielle Igniti z.B. ist Ministerin „des échanges des liquides corporels“, Marc Angel Minister der „sales petites affaires“, Enrico Lunghi fungiert selbstverständlich als „ministre de l’Amusement et du Temps libre“. Pässe gibt es natürlich auch. Jeder kann einen beantragen. Bedingungen gibt es keine: weder eine Mindestaufenthaltsdauer noch ein Mindestalter. Auch muss man nicht mit einem Staatsangehörigen der Republik verheiratet sein.

Direkte Aktionen

Das Projekt sei von Anfang als langlebig angelegt worden, sagt Frantz. Nach der Gründung fanden mehrere Aktionen in dessen Rahmen statt. So nahmen im Jahr nach der Gründung „Vertreter“ der Republik mit ihren Fahnen bei der offiziellen Parade des Nationalfeiertages am 23. Juni teil. Ein Polizeioffizier habe sie zuerst angewiesen, die Fahnen einzupacken, doch dann wurde die Aktion (vielleicht wegen der anwesenden Journalisten) doch genehmigt. Am 29. März 2008 wurde im Ikob – Museum für Zeitgenössische Kunst in Eupen die erste Botschaft der Freien Republik eingerichtet. Jerry Frantz, ernannte den damaligen Direktor des Ikob, Francis Feidler, zum Botschafter. Dieser hat das Recht, Ausweise auszustellen und damit die Staatsbürgerschaft der Republik zu erteilen. Bei der Aktion war sogar der damalige Ministerpräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft Karl-Heinz Lambertz anwesend.

Während des „Bommeleeër“-Prozesses entwarf und verteilte er Steckbriefe des Attentäters, ohne Bild. Jeder konnte sein eigenes darauf kleben oder malen. Teil der Aktion war auch die Ausgabe einer Zeitung namens „Berliner Sonnenschein“ mit der Berichterstattung über einen Sprengstoffanschlag auf das neue Konsulat der Republik in Vierraden (Nordosten Brandenburgs).

Offizielle Einweihung eines Briefkastens an der Botschaft in Eupen

Die bis dato letzte Aktion war die offizielle Einweihung eines Briefkastens an der Botschaft in Eupen am 12. Oktober 2014. Bei dieser Gelegenheit wurde Frantz sogar vom Ministerpräsidenten der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Oliver Paasch, ganz offiziell empfangen. „Die Belgier stehen solchen Aktionen offener gegenüber. Paasch sah das auch als eine Art Werbung für Eupen und die Region.“ Weitere Aktionen im Rahmen der Republik würden folgen, versprach Frantz.

Wer sich von der Arbeit des Künstlers ein Bild machen will, kann das bei einer Ausstellung tun, die am 17. Mai im Ikob ihre Türen öffnet.