/ Die finstere Sonne Nordkoreas
Der Geburtstagsgruß des Enkels ging gehörig in die Hose. Oder vielmehr fiel er ins Wasser. Denn genau dort landete die Rakete, die am Freitag abgefeuert wurde und laut offizieller Lesart einen Satelliten ins All spedieren sollte. Der Misserfolg ist symptomatisch für das Erbe, das Kim Il-Sung hinterlassen hat und das 100 Jahre nach seiner Geburt und fast 20 Jahre nach seinem Tod noch immer schwer auf dem Land lastet: Nordkorea ist gleichzeitig eine hoch militarisierte und völlig ausgepowerte Nation – verarmt, verachtet, isoliert.
Die offizielle Propaganda sieht das natürlich anders. Für sie ist der Gründervater die „Sonne der Nation“, der „ewige Präsident“, der in einem pompösen Mausoleum verehrt wird. Unzählige Statuen im ganzen Land zeugen vom Personenkult, der bis heute um Kim Il-Sung betrieben wird, den „großen Führer“, der eigenhändig zwei der stärksten Mächte seiner Zeit bezwungen hat: Japan und die USA. Und der sinnigerweise am gleichen Tag das Licht der Welt erblickte, an dem die „Titanic“ in den Tiefen des Atlantiks versank.
Ein wahres Wunderkind
Kim Il-Sung wurde am 15. April 1912 unter dem Namen Kim Song-Chu in Mankeidai unweit von Pjöngjang geboren. Korea befand sich damals unter japanischer Herrschaft. Bereits im Alter von 13 Jahren begab sich Kim nach Nordchina, um von dort aus „den antijapanischen Befreiungskampf des koreanischen Volkes zu organisieren“ – so besagt es die offizielle Geschichtsschreibung. Bis zum 20. Lebensjahr hatte er bereits die Aufgaben und Ziele der koreanischen Revolution entworfen und die revolutionäre Volksarmee Koreas gegründet.
Ein wahres Wunderkind also. In Berichten des japanischen Geheimdienstes findet man allerdings keine Hinweise auf derartige Aktivitäten. In Wirklichkeit dürfte Kims Familie – beide Eltern waren gläubige Protestanten – um 1920 in die nordchinesische Mandschurei emigriert sein, um der Armut in Korea zu entfliehen. Sein Vater leitete eine Kräuterapotheke, er starb, als der junge Kim 14 Jahre alt war. Während der Schulzeit entdeckte er den Marxismus. Er trat einer Untergrundbewegung bei, wurde mit 17 Jahren verhaftet und eingesperrt.
Flucht in die Sowjetunion
Nach dem japanischen Einmarsch in der Mandschurei schloss er sich den kommunistischen Partisanen an und gab sich den Kampfnamen Kim Il-Sung, was „die Sonne“ bedeutet. In dieser Zeit soll er sich einige Meriten erworben haben, wobei Wahrheit und Propaganda im Nebel der Geschichte verschwimmen. So leitete er 1937 einen Angriff auf eine japanische Polizeistation unweit der koreanischen Grenze. Was kaum mehr gewesen sein dürfte als ein besseres Scharmützel, wurde von der Propaganda zur heroischen Schlacht hochstilisiert.
Wegen des verstärkten japanischen Drucks zog sich Kim Il-Sung 1940 in die Sowjetunion zurück. Dort scheint man sein Talent erkannt zu haben, jedenfalls erhielt er eine umfassende militärische und politische Schulung. Er soll sogar mit einem koreanischen Kontingent an der Schlacht von Stalingrad teilgenommen. Offiziell ist davon keine Rede, denn dies würde nicht ins Bild passen, wonach Kim Il-Sung unermüdlich für die Befreiung Koreas gekämpft hat. Tatsächlich erreichte er die ihm weitgehend fremde Heimat erst 1945 mit der Roten Armee.
Dort kannte ihn kaum jemand, und die Kommunisten waren nur eine kleinere Gruppe. Doch bald zeigte sich, dass Kim Il-Sung tatsächlich ein gelehriger Schüler von Sowjetdiktator Josef Stalin war. Rücksichtslos bahnte er sich den Weg zur Macht – seiner ersten Säuberungswelle sollen bereits 60.000 Menschen zum Opfer gefallen sein. Am 9. September 1948 rief er im Norden der von den Siegermächten in zwei Besatzungszonen geteilten Halbinsel die Demokratische Volksrepublik Korea aus und wurde Ministerpräsident.
Am Rand der Niederlage
Kurz danach beging er seinen ersten grossen Fehler: Am 25. Juni 1950 liess er trotz Bedenken von Stalin das militärisch schwache und verarmte Südkorea angreifen. In der offiziellen Version war es genau umgekehrt. Kim glaubte an einen schnellen Sieg und war völlig überrascht, als nach wenigen Tagen eine von den USA geführte und der UNO legitimierte Streitmacht landete. Nur dank dem Eingreifen der jungen Volksrepublik China, deren Vorsitzender Mao Zedong den Korea-Krieg anfangs abgelehnt hatte, entging er der totalen Niederlage.
Der 1953 unterzeichnete Waffenstillstand stellte faktisch den Status-quo vor dem Krieg wieder her. Laut seiner offiziellen Biographie hat Kim Il-Sung jedoch „einen heroischen Sieg“ errungen. Die USA hätten um den Waffenstillstand ersucht, um „der drohenden militärischen Niederlage zu entgehen“, heißt es dort. Tatsächlich zeigte sich erneut Kims Talent. Er überlebte nicht nur die Schlappe, indem er in gewohnter Manier seine Gegner aus dem Weg räumen ließ, sondern inszenierte auch einen Personenkult der Extraklasse.
Auf dem Weg in die Isolation
Seine Macht basierte nicht zuletzt auf der Unterstützung durch die Sowjetunion und China. Nachdem sich die beiden kommunistischen Supermächte gründlich verkracht hatten, erwies sich dies als zunehmend schwierig. Kims Ausweg war die Juche-Ideologie, eine Art marxistischer Nationalismus, die auf grösstmögliche Eigenständigkeit abzielt. Damit führte er Nordkorea endgültig in die Isolation – und in die Armut. Während der nach dem Krieg verwüstet Süden einen beispiellosen Aufschwung erlebte, ging es mit Nordkorea bergab.
Das Militär wurde zur wichtigsten Stütze von Kim Il-Sung. Unter seiner Führung wurde auch das nordkoreanische Atomprogramm gestartet, denn der „große Führer“ hatte nicht vergessen, dass US-General Douglas McArthur während des Kriegs mit der Atombombe gedroht hatte. Um sich seine Feinde von Leib zu halten, brauchte er folglich selbst Atomwaffen. Ausserdem installierte Kim die erste kommunistische Erbmonarchie, mit seinem Sohn Kim Jong-Il als Nachfolger.
Nach fast 50 Jahren an der Macht starb Kim Il-Sung am 8. Juli 1994 mit 82 Jahren an einem Herzinfarkt – offiziell in seinem Arbeitszimmer in Pjöngjang, in Wirklichkeit in seiner Residenz in den Myohyang-san-Bergen. Sein System aber überlebte, auch weil sich Kim Jong-Il als weit cleverer erwies, als ihm viele zugetraut hätten. Und nun ist mit Kim Jong-Un bereits die dritte Generation am Ruder. Er sieht seinem Grossvater verblüffend ähnlich – manche glauben, dem sei chirurgisch nachgeholfen worden. Als „ewiger Präsident“ aber ist Kim Il-Sung nominell bis heute das Staatsoberhaupt.
(Peter Blunschi/20min/Tageblatt.lu)
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