Deutsch ist zu elitär

Deutsch ist zu elitär
(Z1022 Patrick Pleul)

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Die französische Unterrichtsministerin Najad Vallaud-Belkacem sagt bilingualen Klassen den Kampf mit einer Reform an. Das Opfer: Die deutsche Sprache, zu elitär, meint die Ministerin.

Chancengleichheit ist das Prinzip aus der französischen Verfassung, das die französische Bildungsministerin, in Marokko geboren, im Zuge der Familienzusammenführung in Amiens zur Schule gegangen, mit 18 Jahren naturalisiert, in den Vordergrund stellt. Alles, was nach Elite riecht, ist ihr ein Greuel. Die Mutter eines siebenjährigen Zwillingspärchens (Junge/Mädchen) hat sich als Gleichstellungsministerin einen Namen gemacht, als sie die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen in der Schule schon aufheben wollte und ein umstrittenes Buch dazu auf den Markt kam.

Die 37-jährige Ministerin ist der Liebling der französischen Sozialisten, weil sie für gesellschaftliche Reformen in Frankreich steht, die den Sozialisten am Herz liegen. In der Regierung von Premierminister Manuel Valls ist sie die erste Frau in der Geschichte der fünften Republik, die das Erziehungs- und Bildungsministerium übernehmen durfte.
Und auch hier hat Frau Vallaud-Belkacem elitäre Strukturen entdeckt, die sie nun mit einer Reform der Mittelschule verändern will. Frankreichs Bildungssystem kennt die Ecole Maternelle, ein Erziehungskindergarten, in dem die Kleinen bereits Unterricht haben, die einheitliche Mittelschule, die mit der sechsten Klasse beginnt und danach das Gymnasium, in das man von der Mittelschule her wechselt.

Zweite Fremdsprache

Wer von der Grundschule in die Mittelschule wechselt, hat seit 2003 die Möglichkeit, neben Englisch eine zweite Fremdsprache zu wählen. In Europaklassen und bilingualen Klassen wird der Erwerb einer zweiten Fremdsprache aktiv mit zwei zusätzlichen Unterrichtsstunden in der zweiten Fremdsprache gefördert. Profitiert haben davon zwei Sprachen. Das für Franzosen leichtere Spanisch, das sich Platz zwei hinter dem Englischen erobert hat und die deutsche Sprache, die nun auf dem dritten Platz der in Frankreich erlernten Sprachen liegt. Dafür haben in den vergangenen Jahren nicht zuletzt Musikgruppen wie „Tokyo Hotel“ und „Rammstein“ gesorgt, die die Jugend entzückten. Es sind Fälle bekannt, in denen Deutschlehrer die Songtexte in ihren Unterricht einbauten.

Die bilingualen Klassen, Europaklassen und Musikgruppen hatten in Frankreich für einen Wandel im Ansehen der deutschen Sprache gesorgt. In den fünfziger Jahren lernte fast noch jeder zweite Franzose deutsch. In den 80er Jahren gab es französische Regierungen, in denen fast jeder Minister mindestens durch das deutsch-französische Jugendwerk Bekanntschaft mit Deutschland gemacht hatte. Heute hat sich durch die besonderen Klassen in der Mittelschule der Anteil der Deutsch-Schüler stabil auf etwa 15 Prozent eines Jahrgangs eingependelt. Der bekannteste Politiker mit exzellenten Deutsch-Kenntnissen in Frankreich ist heutzutage Bruno le Maire, Spitzenpolitiker der konservativen UMP. Bei Treffen mit der deutschen Ministerin Ursula von der Leyen spricht er deutsch, die Ministerin hingegen französisch, schreibt le Maire in seinen Memoiren über die Regierungszeit als Landwirtschaftsminister unter Staatspräsident Nicolas Sarkozy.

Deutschunterricht wird radikal gekürzt

Mit der Fremdsprachenförderung in Europa- und bilingualen Klassen soll es jedoch jetzt vorbei sein. Diese Klassen seien „elitär“ und brächten nur „wohlhabenden Familien“ etwas, entschied die Ministerin und deswegen ist damit bald vorbei. Der Deutschunterricht wird radikal gekürzt und soll zukünftig gerade noch drei Stunden in der Woche stattfinden. Die Auffassung der Ministerin hält den Fakten nicht stand und scheint aus persönlichem Erleben und Vorurteil begründet. Die Klassen stehen jedem offen, der sich in der Mittelschule anmeldet und Deutsch oder Spanisch lernen will. Die Abschaffung der bilingualen Klassen und die Kürzung des Deutschunterrichtes werden sich in spätestens zehn Jahren katastrophal für die französische Wirtschaft auswirken. Tochtergesellschaften und Niederlassungen deutscher Unternehmen suchen heute schon händeringend nach deutsch-sprachigem Personal und werden es zukünftig in Frankreich noch weniger finden. Auch der diplomatische Dienst Frankreichs wird leiden. Dort sollen zukünftig immer mehr diejenigen eine Chance bekommen, die englische und deutsche Sprachkenntnisse haben.

Die Absicht der Ministerin, das Erlernen einer zweiten Fremdsprache drastisch einzuschränken, hat in Frankreich zu einer Protestflut geführt. Der ehemalige Premierminister Jean Marc Ayrault, selbst Deutschlehrer, der enge Beziehungen zum Saarland unterhält, sieht in der Reform eine erhebliche Gefahr für die deutsch-französischen Beziehungen der Zukunft. In einem Brief an die Ministerin, den die Wirtschaftszeitung „les Echos“ veröffentlichte, schreibt Ayrault: „Wir versuchen heute, unsere Beziehungen zu Deutschland zu vertiefen. Das geschieht über eine bessere Kenntnis der Geschichte, der Kultur und der Sprache. Die Maßnahmen zur Reform der Mittelschule scheinen mir diese Annäherung nicht zu fördern“, heißt es darin. Ayrault macht in einem diplomatischen Ton deutlich, dass er sichtlich verärgert ist. Nicht anders ergeht es den Abgeordneten der Arbeitsgruppe Deutschland in der Nationalversammlung.

Die öffentliche Schule in Frankreich genießt keinen guten Ruf. Wer seinen Kindern eine gute Bildung sichern will, schickt sie in Privatschulen, in der Regel katholische Schulen. Nicht auszuschließen, dass die Reform der Mittelschule den Trend zur Privatschule verstärkt. Frau Vallaud-Belkacem hätte dann genau den Effekt erzielt, den sie bekämpfen will: Die vernünftige Sprachenausbildung in Frankreich würde eine elitäre werden. Sie selbst hat in einem Interview zugegeben, dass sie zwar jahrelang deutsch gelernt, es ihr aber nichts gebracht hätte. Mehr als „Ich liebe Dich“ könne sie nicht sagen. Für die deutsche Sprache jedenfalls scheint das nicht zu gelten.