Der Tag der Entscheidung

Der Tag der Entscheidung
(AFP/Richard Bouhet)

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In einer historischen Richtungswahl mit Bedeutung für ganz Europa stimmen die Franzosen an diesem Sonntag über sein neues Staatsoberhaupt ab.

In einer historischen Richtungswahl mit Bedeutung für ganz Europa stimmt Frankreich an diesem Sonntag über sein neues Staatsoberhaupt ab. In der Stichwahl trifft die Rechtspopulistin Marine Le Pen auf den pro-europäischen Mitte-Links-Kandidaten Emmanuel Macron. Ein Sieg der EU-Gegnerin Le Pen würde die Europäische Union schwer erschüttern – die Abstimmung wird deshalb international mit Spannung und Nervosität verfolgt.

Macron geht als klarer Favorit in die Wahl. Der Ex-Wirtschaftsminister lag in Umfragen zuletzt bei 62 bis 63 Prozent, Le Pen kam auf 37 bis 38 Prozent. Die Wahllokale sind von 8.00 Uhr bis 19.00 Uhr geöffnet, in großen Städten bis 20.00 Uhr. Dann gibt es auch die ersten Hochrechnungen.

Strenge Sicherheitsvorkehrungen

Bis zur Schließung der letzten Wahlbüros gilt in Frankreich eine Nachrichtensperre für Prognosen und erste Auszählungen. Allerdings hatten belgische Medien beim ersten Wahlgang vor zwei Wochen schon am späten Nachmittag Umfrageergebnisse verbreitet. In einigen französischen Überseegebieten stimmten die Wähler wegen der Zeitverschiebung bereits am Samstag ab.

Wegen der Terrorgefahr steht die Wahl unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Mehr als 50.000 Polizisten sollen die Abstimmung schützen. Frankreich war in den vergangenen Jahren mehrfach Ziel islamistischer Anschläge, erst Mitte April wurde ein Polizist bei einem Anschlag auf dem Pariser Prachtboulevard Champs-Élysées getötet.

Gegensätzliche Weltbilder

Die beiden Finalisten stehen für zwei völlig gegensätzliche Weltbilder und hatten sich im Wahlkampf scharf angegriffen. Le Pen ist die Kandidatin der rechtsextremen Partei Front National, die sie 2011 von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen übernommen hatte. Die 48-Jährige will im Fall eines Wahlsiegs den Euro als gängiges Zahlungsmittel abschaffen und ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft Frankreichs ansetzen. Sie plant, die Einwanderung fast vollständig zu stoppen und Frankreichs Wirtschaft mit Protektionismus vor ausländischer Konkurrenz zu schützen.

Nach dem Brexit-Votum und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten würde ein Erfolg Le Pens populistischen Kräften neuen Auftrieb verschaffen.

39 Jahre

Macron dagegen steht zur EU, er will den Euro stärken und strebt eine enge Partnerschaft mit Deutschland an. Er will die Wirtschaft des Landes mit Reformen wettbewerbsfähiger machen, damit das Land sich in der Globalisierung behaupten kann. Macron wirbt für einen optimistischen Blick in die Zukunft. Er tritt unabhängig von den etablierten Parteien an und positioniert sich als „weder rechts noch links“.

Falls der 39-Jährige gewinnt, wäre er der jüngste französische Präsident aller Zeiten. Macron war von 2014 bis 2016 Wirtschaftsminister unter dem amtierenden sozialistischen Präsidenten François Hollande, der nicht wieder antritt.
Für Frankreich beginnt mit der Wahl in jedem Fall eine neue politische Ära. Denn die Bewerber der traditionellen Regierungsparteien – Konservative und Sozialisten – waren schon im ersten Wahlgang ausgeschieden.

Der Cyberangriff

Die gemäßigten Kräfte der französischen Politik stellten sich hinter Macron, um Le Pen zu verhindern. Allerdings lehnen viele linke Wähler seine wirtschaftsfreundliche Linie ab.

Das Wahlwochenende wurde von der Veröffentlichung zahlreicher interner Dokumente aus dem Wahlkampfteam Macrons überschattet. Seine Bewegung „En Marche!“ erklärte, die Daten seien bei einer „massiven und koordinierten“ Hackerattacke vor einigen Wochen erbeutet worden. Die erbeuteten Dokumente seien alle legal und zeigten die normale Funktionsweise eines Wahlkampfs, es würden aber auch gefälschte Dokumente verbreitet. Wer hinter dem Cyberangriff steckt, blieb zunächst unklar.

Falsche Informationen

„En Marche!“ erhob den Vorwurf, Ziel des Hacker-Angriffs sei eine Destabilisierung der Demokratie, und zog eine Parallele zum letzten Präsidentschaftswahlkampf in den USA. Dort hatten Wikileaks-Veröffentlichungen kurz vor der Wahl im November der favorisierten Demokratin Hillary Clinton schwer zugesetzt. Letztlich verlor Clinton überraschend gegen Donald Trump.

Die französische Kommission zur Kontrolle des Wahlkampfs rief Medien und Bürger auf, die veröffentlichten Dokumente nicht zu verbreiten, um die Wahl nicht zu beeinträchtigen. Es seien nach aller Wahrscheinlichkeit auch Fälschungen darunter, und die Verbreitung unwahrer Informationen könne strafrechtlich verfolgt werden.