Der „Schlächter von Beirut“ ringt mit dem Tod

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Nach achtjährigem Koma hat sich der Zustand des früheren israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon am Donnerstag nochmals drastisch verschlechtert.

„Die behandelnden Ärzte und die Familie rechnen mit einer Wende zum Schlimmsten“, sagte Seev Rotstein, Direktor der Klinik, in der Scharon seit Jahren behandelt wird. Scharon, der lange das nationalistische Lager anführte, den Palästinensern dann aber Zugeständnisse machte, leidet seinen Ärzten zufolge an multiplem Organversagen.

In den vergangenen Tagen hätten mehrere lebenswichtige Organe des 85-jährigen zunehmend schlechter funktioniert, sagte Rotstein bei einer kurzen Pressekonferenz vor dem Krankenhaus Tel Haschomer bei Tel Aviv. „Sein Zustand wird als kritisch eingestuft, es besteht akute Lebensgefahr“, sagte Rotstein. Am Mittwoch hatten Medien bereits berichtet, die Nieren des konservativen Ex-Politikers versagten.

US-Außenminister John Kerry, der am Donnerstag zu einem mehrtägigen Besuch in Jerusalem und Ramallah eintraf, sagte „alle Amerikaner“ dächten „jetzt an Israel“ und den früheren Spitzenpolitiker. Vor Beginn eines ersten Treffens mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sagte Kerry über Scharon: „Wir erinnern uns an seinen Beitrag, an die Opfer, die er für das Überleben und Wohlergehen Israels gebracht hat.“

Seit 2006 im Koma

Scharon, der am 27. Februar 1928 im britischen Mandatsgebiet Palästina als Sohn jüdischer Einwanderer aus Weißrussland geboren wurde, war am 4. Januar 2006 nach einem Schlaganfall ins Koma gefallen, aus dem er nie wieder erwachte. Er wird seitdem in Tel Haschomer, der größten Klinik Israels, künstlich ernährt. Im Januar 2013 waren bei dem Patienten wieder verstärkte Hirnaktivitäten gemessen worden, sodass kurzzeitig die Hoffnung bestanden hatte, er könne wieder zu Bewusstsein kommen.

Der frühere Armeegeneral, der seiner Autobiografie den Titel „Krieger“ gab, war im Februar 2001 für die konservative Likud-Partei erstmals zum israelischen Ministerpräsidenten gewählt worden. Vier Monate vorher hatte der Rechtspolitiker mit seinem demonstrativen Besuch auf dem Ost-Jerusalemer Tempelberg die zweite Intifada ausgelöst, die von zahlreichen palästinensischer Selbstmordanschlägen geprägt war.

Nachdem er zunächst die israelische Siedlungspolitik in den Palästinensergebieten vorbehaltlos unterstützt hatte, änderte Scharon nach seiner Wiederwahl im Jahr 2003 überraschend seinen Kurs und verfolgte eine „einseitige Trennung“ von manchen Palästinensergebieten. 2005 setzte er den israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen und die Auflösung der dortigen jüdischen Siedlungen durch. Da Scharon deshalb seine Machtbasis in der Likud-Bewegung verlor, verließ er diese im November 2005 und gründete sechs Wochen vor seinem Schlaganfall die Zentrumspartei Kadima.

Unterschiedliche Bewertung

Trotz seiner zuletzt kompromissbereiteren Haltung im Nahost-Konflikt wird die Rolle Ariel Scharons von den Palästinensern und in den arabischen Nachbarländern negativ bewertet. Während die israelischen Medien ihm wegen seines politischen Stils und seiner Statur den Beinamen „Bulldozer“ gaben, bezeichnen ihn die Araber immer wieder als „Schlächter von Beirut“. Damit erinnern sie an die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila, die von libanesischen Christenmilizen 1982 unter den Augen israelischer Besatzungstruppen begangen wurden; Scharon war seinerzeit Verteidigungsminister.