„Der Frost traf uns alle hart und völlig unvorbereitet“

„Der Frost traf uns alle hart und völlig unvorbereitet“
(dpa)

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In Griechenland sitzen Tausende Flüchtlinge bei Schnee und Eisekältes fest. Sie leben teilweise in einfachen Zelten oder Rohbauten. Eine junge Luxemburgerin erzählt von ihren Erfahrungen.

Seit Schließung der Balkanroute harren nach Angaben vonHilfsorganisation noch immer rund 62.500 geflüchtete Menschen, hauptsächlich Familien, in Griechenland aus. Viele befinden sich inzwischen seit rund acht Monaten in diesem Land. Die Luxemburgerin Maxime Kemmer ist immer wieder in Griechenland – um zu helfen. Was sie erlebt, schreibt sie uns hier:

Fatima ist Mutter von drei Kindern, und vor kurzem mit 14 weiteren Familien aus einem Camp in ein Wohnhaus im Zentrum Thessalonikis gezogen. Ich durfte die Familie und die Ihrer besten Freundin kennen lernen, als wir Sie mit den notwendigsten Lebensmitteln versorgten. Offensichtlich erfreut, über ihre neue Lage, darüber wieder Leute empfangen und ihnen syrischen Café vorsetzen zu können bedient Sie sich ihrer Englischkenntnisse, redet ununterbrochen über Ihre Familie, über die Probleme denen Sie monatelang in den Camps ausgesetzt waren, sowie über ihre noch ungewisse Zukunft.

Nein, Ihren ältesten Sohn habe Sie seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen. Ja, Sie vermisse ihn sehr. Sie merke dass er schon erwachsen sein will, doch sie wisse dass ein 14 jähriger Junge seine Mutter brauche. Sie möchte ihn heranwachsen sehen und einfach nur an seiner Seite durch die Straßen gehen. Ich frage mich unwillkürlich an was für Straßen sie dabei denkt. An die Straßen Syriens oder die Deutschlands.

Schicksale

Während meiner Zeit in Thessaloniki hörte ich Worte die, in unseren geordneten Welt, unvorstellbar sind :“,Ich habe meine Frau nun 9 Monate nicht mehr gesehen.“ „Mein Sohn und seine Frau haben es nicht mehr rechtzeitig zur Grenze geschafft.“ „Unser Haus wurde von einer russischen Bombe dem Erdboden gleichgemacht,“ oder: „Meine Tochter ist fünf Stunden mit uns durch den Wald marschiert.“

In das Schicksal derer, die sich auf der Straße durchschlagen mussten, waren wir am häufigsten verwickelt, da unsere Hauptaufgabe darin bestand diese Menschen mit Essen zu versorgen. Jeden Morgen, wenn gerade kein anderes Projekt anstand, fuhren wir zur ‘“Soul Food Kitchen“ in der Nähe des Stadtzentrums. Die Küche ist ein Anbau des „Warehouse“ (Warenlanger) von dem alle Hilfe ausgeht.

Kälte

In dieser Lagerhalle befinden sich handwerkliche Ateliers sowie kistenweise Spenden die sich bis zur Decke stappeln und sortiert weder müssen bevor sie ausgeteilt werden. Die Küche versorgt alle auf der Straße lebenden Flüchtlinge zweimal täglich mit Essen, ungeachtet der Bedingungen und ausnahmslos, darunter auch griechische Obdachlose.
Die Menschen verlassen sich auf uns und vertrauen darauf dass wir jeden Tag zu ihnen kommen. Die Essensausgabe findet an 5 Spots statt.

Der erste, jetzt am spärlichsten aufgesuchte Spot, war im August der einzig belieferte. Hier befanden sich um die 400 Leute. Der zweite befindet sich in einem Park der größtenteils von griechischen Obdachlosen bewohnt wird. Der dritte Spot ist ein verlassenes Haus, welches viele Menschen, unter anderem zahlreiche Familien mit Kleinkindern, beherbergt die meist nicht mal ein Zelt besitzen. Auf meinem letzen Konvoi bat uns eine Mutter um ein weiteres Zelt, theoretisch, aufgrund der Spenden, kein Problem. Es erwies sich allerdings als schwierig die Familie zu finden bevor sie über die Grenze verschwand. Beim Betreten dieses Gebäudes fanden wir den kalten Betonboden mehr als einmal, übersät von in Decken gehüllten jungen Männern, vor.

Kleidung

Und jetzt war die Kälte da! Der Frost traf uns alle hart und völlig unvorbereitet. Stolz darauf, dass ich erfolgreich Kleidung für 10 Tage in einem Rucksack verstaut hatte, musste ich an Ort und Stelle feststellen dass die einzig sinnvolle Bekleidung ein Skianzug gewesen wäre. Die Kälte lies unsere Motorik erstarren, sie war überall und außer einem spärlichen Feuer gab es in dem Gebäude und der Küche keine Stelle an der man sich hätte aufwärmen können. Der Gedanke an eine warme Dusche am Abend ließ uns alle weiterarbeiten.

Jedesmal wenn ich mich mit diesem Gedanken tröstete kam mir unweigerlich in den Sinn dass alle, auf der Straße lebenden, sowie die Menschen in den Camps, keine solche Aussicht hatten. Sie waren der Kälte ständig und ohne Rückzugsort ausgesetzt. Wir versorgten sie mit Decken und Kleidung so gut es ging auch wenn dies nur ein kleiner Schritt im Kampf gegen die Kälte ist. Die Situation in den Camps ist keineswegs besser im Bezug auf den Winter.

Ängste

Bei einer Essensausteilung vor einem Camp lernte ich mehrere Syrer kennen. Einige Tage nach meiner Rückkehr nach Luxemburg sendete man mir Fotos welche die heftige Realität über die Lage in ihrem Camp zeigten. Ein Mann schrieb sie seien seit fünf Tagen eingeschneit und ohne Wasser. 30 Menschen wurden an diesem Tag in Hotels gebracht, zwei Tage nachdem der griechische Immigrationsminister bekannt gegeben hatte, dass alle Menschen evakuiert worden seien. Von wegen, 15 Mensch blieben darüber hinaus freiwillig in dem Camp. Warum? Wir nehmen an dass sie der Regierung und ihrer Rettungsaktion mißtrauen.

Der letze, während der Austeilungen aufgesuchte, Spot lässt in mir jedes mal eine stechende Frage aufkeimen: „Wo ist Taiba?“ Ich lernte das junge Mädchen vor rund zwei Monaten bei meiner ersten Reise nach Thessaloniki kennen. Sie lebte dort mit ihrer Familie auf der Straße. Vater, Mutter und drei Kinder. Die jüngste Tochter hatte knapp zwei Jahre. Taiba war stärker als die meisten anderen. Sie strahlte Mut aus.

Verhört

Dabei trug sie mit ihren15 Jahren die Last der Familie auf sich. Für eine solche Hürde hatte sie allerdings noch viel zu kleinen Schultern. Eines Abends, als wir zur Essensausgabe eintrafen, weinte die Mutter, die ganze Gruppe wirkte aufgewühlt. Bis wir in dem Durcheinander von Menschen und Gemüseeintopf etwas herausgefunden hatten, dauerte es allerdings eine Weile.

Die Polizei hatte ihren Vater in der vorherigen Nacht mitgenommen und verhört, wenig später erfuhren wir dass sie ihn zurück nach Chios schicken würden, von da aus in die Türkei und zurück nach Afghanistan. Das Mädchen, ihre Mutter und die beiden kleinen blieben allein und ohne Geld zurück. Von Taiba lernte ich das arabische Wort für Schwester: „Uchti“

Spenden

Nach einem Wiedersehen mit meinem erstmaligen „catch a smile“- Team, und nachdem mir klar wurde dass ich die nächsten Wochen in Luxemburg festsitzen würde, beschloss ich von hier aus aktiv zu werden. In den Camps herrscht ein Mangel an Hygieneprodukten, also organisierte ich in meiner Schule eine entsprechende Spendenaktion. Klingt einfach, war es auch, wenn man davon absieht dass fünf fleißige Helferinnen nach drei Tagen das Wort Hygieneartikel nicht mehr hören konnten. Es gelang uns binnen kurzer Zeit um die 160 Kits, die wir von Spendern bekamen, zu füllen.
Zwei Wochen später, nach meiner erneuten Ankunft in Thessaloniki, als ich entlang der im Lagerhaus gestapelten Kisten ging, standen dort, zu meinem erstaunen, die meinen und lächelten mich an.

Wir boten der dortigen Hilfsorganisation „Help for refugees“an, die Austeilung selbst zu erledigen. Diese willigten freudig ein da wir ihnen diese Arbeit abnahmen. Wenig später klebte an besagten Kisten die Worte „this is C.A.S, don`t move!“ . Wie wir allerdings das ganze Material in ein Camp verfrachten sollten, war mir zu dem Zeitpunkt noch mehr als schleierhaft da wir, unter anderem, nicht gerade vom Gluck begünstigt, das kleinste Auto überhaupt beim Autoverleih erhalten hatten. Nachdem wir ein entsprechendes Camp gefunden hatten, löste sich allerdings auch das Transportproblem wie von allein. Dani, ein spanischer Lehrer der in seinem Van lebt, machte Platz in seinem Fahrzeug.

Der Syrier

Im Camp angekommen treffen wir unsere Kontaktperson die im Camp arbeitet, jedoch völlig durch den Wind scheint. Wir werden Zeuge dreier Busse die mit Menschen beladen das Camp verlassen. Sie sollen in Wohnungen ziehen. Eigentlich eine gute Entwicklung. Wäre der Anblick von Menschenmassen in Bussen die fortgebracht werden nicht so befremdlich. Einen Austausch und eine Zigarette später kamen nun endlich die Kits zum Einsatz.

Ausgeteilt wurde mit Einkaufswagen, die ein Syrer organisiert hatte. Der Mann erwies sich als große Hilfe, da er mit uns die Hallen durchschritt und an jedem Zelt nach der Anzahl der in ihm lebenden Frauen fragte. Im Nachhinein wurde mir klar dass wir es ohne seine Hilfe, aufgrund der Sprachbarriere, es nicht so leicht geschafft hätten die Produkte an die Frauen zu verteilen. Die Frauen und jungen Mädchen waren über die Geschenke sichtlich erfreut. Nagellack und Make up, welche wir als kleines „Highlights“ in die Kits gepackt hatten, wurden gleich ausprobiert.

Kurz vor meiner ersten Abreise fragte mich jemand, was wir denn am Wochenende vorhaben, und ob man in Thessaloniki gut shoppen könnte? In diesem Moment dankte ich, ein Glück, dass ich Wortstark bin, ansonsten wäre mir wohl nur die Sprache der Ohrfeige geblieben.