Demo gegen und Jubel für Yildirim

Demo gegen und Jubel für Yildirim
(AFP/Sascha Schuermann)

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Mehr als 700 Menschen haben gegen den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim im Ruhrgebiet demonstriert. Im Saal wurde er jedoch bejubelt

Viele Menschen beteiligten sich am Samstag an einer Kundgebung und einem Protestmarsch in Oberhausen. Eine Polizeisprecherin sprach von einem ruhigen Verlauf. Yildirim hat am Samstag Nachmittag vor in Deutschland lebenden Landsleuten für die umstrittene Einführung des Präsidialsystems in der Türkei werben. Das türkische Volk soll darüber am 16. April abstimmen. Wahlberechtigt sind auch im Ausland lebende Türken.

Das neue System würde Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mehr Machtbefugnisse einräumen und das Parlament schwächen. Der Auftritt von Yildirim hatte im Vorfeld eine Welle von Kritik ausgelöst.

Zudem teilte die Redaktion der „Welt“ am Freitag mit, ihr Türkei-Korrespondent Deniz Yücel ist als erster deutscher Journalist seit Verhängung des Ausnahmezustandes in der Türkei in Polizeigewahrsam gekommen. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, kritisierte dies. „Herr Yildirim, sorgen Sie dafür, dass unser Kollege ein faires Verfahren bekommt“, forderte er bei einer Kundgebung.

Kritik an Erodgans Willkür-Regime

Im Saal in Oberhausen hingegen fanden sich hingegen die Erdogan-Anhänger zusammen. Sie schwenken Türkei-Fahnen, tragen Erdogan-Schals und jubeln jedes Mal, wenn der Name des Staatspräsidenten fällt. Mehr als 10.000 Türken haben am Samstag mitten im Ruhrgebiet einer Rede des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim zugehört.

Frauen, Männer, Kinder: Viele Familien haben sich auf den Weg nach Oberhausen gemacht. Fast herrscht Volksfeststimmung in der großen Halle. Lautstarke Vorredner des Ministerpräsidenten sorgen immer wieder für Beifallsstürme und ein flatterndes Fahnenmeer. Über der Bühne hängt ein großes Plakat mit dem Bild Yildirims und den Fahnen der Türkei, Deutschlands und Europas. Darüber die Konterfeis von Staatsgründer Kemal Atatürk, Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Yildirim selbst.

Das vorgesehen Präsidialsystem in der Türkei würde Erdogan deutlich mehr Machtbefugnisse einräumen und das Parlament schwächen. Mit der Veranstaltung in Oberhausen wollte die AKP ihre zahlreichen Wähler im Ausland mobilisieren, die ebenfalls abstimmen können – in Deutschland sind es allein etwa 1,41 Millionen. Yildirim kündigte an, auch Erdogan wolle demnächst in der EU Wahlkampf für die Reform betreiben.

Erdogan will noch mehr Macht

Unter den Zuhörern in Oberhausen sind viele Türken aus der Region, aber auch aus anderen Bundesländern und dem benachbarten Ausland. Vor der Halle steht eine junge Mutter aus Salzgitter und erklärt, warum sie für das Präsidialsystem ist: „Damit es weitergeht, damit die Türkei wieder ganz oben steht“, sagt sie. Sie werde mit „Evet“ stimmen, „Ja“. Deutschland entwickele sich nicht weiter und diskriminiere gegen die Muslime. Sie wolle daher schon bald in die Türkei ziehen – dort gebe es mehr Religionsfreiheit.

Drei junge Männer sind ebenfalls begeistert: „Gänsehaut, Emotion, ein tolles Gefühl, da drin zu sein“, sagen sie nach der einstündigen Rede Yildirims. „Man hat so ein Heimatgefühl gehabt“, sagt einer der drei, ein 21-Jähriger. Erdogan sei gut, weil er in der Türkei fast alles verbessert habe. Für die vielen Verhaftungen äußern sie Verständnis: „Es ist ja normal, dass nach einem Putsch richtig aufgeräumt wird.“

„Er hat keine Angst vor niemandem“, sagt ein 24 Jahre alter Student aus Oberhausen über Erdogan. „Er sagt, was er denkt.“ Und die vielen Verhaftungen seit dem Putschversuch im Juli 2016? Das sei schon etwas willkürlich gewesen, räumt der 24-Jährige ein.

„Entdemokratisierungsprozess in der Türkei“

Passanten, die das nahegelegene Einkaufszentrum besuchen, nehmen Notiz von der Veranstaltung. „Ich frage mich, was Erdogan sagen würde, wenn Angela Merkel in der Türkei Wahlkampf betreiben würde“, sagt eine 32-Jährige aus Kassel. Ein 60 Jahre alter Mann aus Oberhausen aber meint: „Wir sind ein liberales Land. Wir haben eine Rechtsordnung, die solche Auftritte möglich macht.“ Toleranz sei geboten. Dazu gehöre aber auch die Möglichkeit, dagegen zu demonstrieren.

Das machen draußen auch rund 750 Menschen – friedlich. Unter ihnen ist der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Düsseldorfer Landtag, Mehrdad Mostofizadeh. „Der Entdemokratisierungsprozess in der Türkei ist längst in vollem Gange“, sagt er bei einer Kundgebung. Was sich dort abspiele, sei eine Bedrohung von Werten.