/ "Das haben wir immer so gemacht"

5. November 2012. Es ist ein Freitagnachmittag gegen 17.15 Uhr auf der Wache im Munitionsdepot Waldhaff. Ein Knall durchbricht die herbstliche Dunkelheit im umzäunten militärischen Komplex. Der 22-jährige Soldat Laurent Thommes liegt im Wachlokal am Boden. Eine Kugel aus dem Schnellfeuergewehr Steyr Aug rast durch den rechten Unterarm, tritt seitlich in den Brustkorb ein und zerfetzt mehrere lebenswichtige Organe, darunter Teile der Leber, Herz und beide Lungenflügel. Die Kugel tritt auf der linken Seite aus dem Brustkorb aus, durchschlägt die Armlehne eines Sessels, prallt an einer Mauer ab und bleibt auf dem Boden liegen.
Rechtsmedizinerin Katia Lobbo erklärt vor Gericht im Detail die letzten Sekunden im Leben von Lauren Thommes. „Beide Lungenflügel kollabierten,der Soldat verblutete nach innen und nach außen. Er hatte keine Chance. Selbst ein Arzt hätte ihn sofort nach dem Schuss nicht mehr retten können,“ betont Lobbo.
Kein Selbstmord
Ermittler Yves-Jean Schmit: „Wir gingen erst von einem Unfall oder Selbstmord aus. Die Obduktion hat aber ergeben, dass Thommes sich nicht selbst erschossen haben kann. Das war unmöglich.“ Er beruft sich dabei auf die Angaben der Rechtsmediziner und die Vernehmungen von Zeugen. Er spricht von Schusswinkel und Körperhaltung. Laurent Thommes wurde getroffen als er in einem Sessel im Wachlokal saß. Damit geriet David B. und Damien L. ins Visier der Ermittler. Beide schoben mit Thommes Wache. Sie gaben zunächst an, vor dem Wachlokal von dem Schuss gehört zu haben.
Am 7. November landeten beide in Untersuchungshaft und wurden von den Ermittlern in die Mangel genommen. Ermittler Schmit: Wir hatten den Eindruck, beide hatten sich noch am Tatort abgesprochen. Die stundenlange Vernehmung zeigte Wirkung. David B. knickte ein. „Bei mir hatte sich ein Schuss gelöst,“ so B. vor den Ermittlern. Er sei mit der geladenen, ungesicherten Waffe in das Wachlokal getreten. Beim Ausziehen der Waffe sei er hängengeblieben und der Schuss habe sich gelöst. „Ich habe gegen vier Vorschriften verstoßen“, sagt er. Das sich der Schuss aus Versehen gelöst haben soll, ist laut der Ermittlungen nur schwer nachzuvollziehen. Ermittler Schmit: „B. hielt die Waffe seitlich auf Hüfthöhe. Mit seinem Finger betätigte er den Abzug.“ Der Druckpunkt an der Waffe ist auf fünf Kilogramm eingestellt. Das heißt, man muss mit Kraft den Abzug betätigen. Also doch kein Versehen?
Keine Sicherheit
Richter Prosper Klein will Details über die Wachvorschriften von Ermittler Schmit. Die Antworten des Kriminalbeamten lassen beim Thema Aufsicht und Sicherheit innerhalb der Armee tief blicken: „Es wurde sich an keine Sicherheitsvorschrift gehalten. Die Soldaten gingen mit geladener Waffe im Wachlokal ein und aus,“ betont Schmit. Er beruft sich dabei auf Bilder eine Überwachungskamera. In der Wachvorschrift ist eigentlich klar festgehalten, wie der richtige Umgang mit einer Waffe abläuft: Betritt man das Wachlokal, muss die Waffe entladen und gesichert sein. Das Magazin wird separat getragen. Eigentlich wird das Gewehr draußen vor dem Wachlokal „entschärft“.
Dafür gibt es eine mit Sand gefüllte Tonne, wo man den Lauf der Waffe reinsteckt. Anschließend nimmt man das Magazin raus, öffnet den Verschluss (Patronenlager), drückt auf den Abzug der Waffe und betätigt den Sicherungshebel. Anschließend betritt man das Wachlokal und legt die Waffe in einem entsprechenden Regal ab. Das Magazin wird über der Waffe abgelegt.
Geladene Waffe
Die Realität sah im Munitionsdepot Waldhaff allerdings anders aus. Ermittler Schmit: „13 Waffen waren in einem Gewehrständer abgelegt. Davon war eine Waffe geladen. Eine weiter Waffe (ungeladen) lag auf einem Stuhl neben der Leiche von Thommes.“ Schmit zitiert Aussagen vom damaligen Soldaten B.: „Das haben wir immer so gemacht.“ Laut Schmit wussten viele Soldaten nicht mal, für was das Fass neben dem Wachlokal war. „Sie dachten es sei ein Aschenbecher für Zigaretten,“ unterstreicht der Ermittler.
Der Großteil der ersten Verhandlung am Montag beschäftigte sich mit Waffentechnik und die richtige oder falsche Handhabe des Schnellfeuergewehrs Steyr Aug. Auf die Frage, warum David B. schoss, gab es am Montag noch keine Antworten. Am Dienstag geht der Prozess weiter. Zwei Waffenexperten und Unteroffiziere der Armee kommen zu Wort. Insgesamt werden 13 Zeugen und drei Experten befragt. Vier Verhandlungstage sind angesetzt.
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