Das Geschäft für Schleuser noch lukrativer

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Schleuserbanden setzen beim Versuch, Flüchtlinge nach Europa zu bringen, zunehmend auf große schrottreife Frachtschiffe, die hunderte Menschen über das Mittelmeer bringen können.

Hunderte Menschen gleichzeitig bringen Schleuserbanden neuerdings nach Europa. Dabei greifen sie zunehmend auf große schrottreife Frachtschiffe. Kurz vor dem Ziel schicken die Schmuggler die Schiffe auf Kurs Richtung Küste und verlassen dann die Brücke. Die Behörden sind alarmiert, nachdem die italienische Küstenwache binnen weniger Tage zwei führerlose Schiffe mit jeweils hunderten Flüchtlingen an Bord im Mittelmeer aus Seenot gerettet hat. Was ist die neue Taktik der Schmuggler?

Am Dienstag wurde der Frachter „Blue Sky M“ von der italienischen Küstenwache in der Adria gestoppt. Das Schiff mit fast 770 Flüchtlingen an Bord steuerte mit sechs Knoten auf die felsige Ostküste Italiens zu, nachdem der Kapitän, ein 36-jähriger Syrer, das Steuer festgestellt und mit seinen drei Crewmitgliedern die Brücke verlassen hatte. Zwei Tage später wurde die in Sierra Leone registrierte „Ezadeen“ von der italienischen Küstenwache entdeckt, als sie führerlos mit 360 Flüchtlingen an Bord vor dem süditalienischen Hafen Crotone trieb.

Woher stammten die beiden Schiffe? Der Kapitän der „Blue Sky M“ sagte laut der Zeitung „Reppublica“ im Polizeiverhör aus, der Frachter sei vor dem türkischen Hafen Mersin nahe der syrischen Grenze vor Anker gegangen und habe dort über mehrere Tage die Flüchtlinge an Bord genommen. Die „Ezadeen“ kam offenbar vom syrischen Hafen Tartus und hatte einen Zwischenstopp in Famagusta im türkischen Nordteil Zyperns eingelegt. Während die „Blue Sky M“ offiziell ins kroatische Rijeka wollte, war das Ziel der „Ezadeen“ der südfranzösische Hafen Sète.

Was war die bisherige Taktik der Schleuser? Bisher verwendeten Schleuser vor allem alte Fischerboote, Schlauchboote und andere kleine Schiffe für die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer. Dabei überließen sie teils den Flüchtlingen selbst das Steuer. Besonders während des inzwischen eingestellten italienischen Marineeinsatzes „Mare Nostrum“ setzten die Schleuser auf die Hilfe der Marinekräfte. So setzten die Schmuggler gezielt Hilferufe ab, beschädigten die Boote oder zwangen die Flüchtlinge zum Sprung ins Wasser, um die Marine zum Eingreifen zu nötigen.

Was ist der Vorteil der alten Frachter für die Schleuser? Der Hauptvorteil von Frachtern ist wohl ihre Größe und ihre größere Seetauglichkeit. Anders als kleine Fischerboote können die Frachter nicht nur kurze Strecken wie von der libyschen Küste zur Insel Lampedusa zurücklegen, sondern auch große Entfernungen wie von Syrien nach Italien bewältigen – und das auch bei rauer See. Alte Frachter von 40 oder 50 Jahren sind laut dem Schifffahrtsexperten David Olsen bereits für weniger als 700.000 Euro zu haben. Branchenkenner sagen, dass alte Frachter sogar auf der Online-Auktionsplattform Ebay zu haben sind.

Warum lohnt sich diese Taktik für die Schmuggler? Der Präfekt von Cosenza, Gianfranco Tomao, sagte unter Berufung auf die Flüchtlinge der „Ezadeen“, sie hätten 4000 bis 8000 Dollar (3320 bis 6640 Euro) an die Schleuser gezahlt. Der Kapitän der „Blue Sky M“ sagte laut der „Reppublica“, für die Überfahrt auf seinem Frachter hätten die Flüchtlinge 4500 bis 5500 Dollar zahlen müssen. Bei 770 Flüchtlingen auf der „Blue Sky M“ nahmen die Schleuser damit eine Millionensumme ein. Der Kapitän, der selbst aus Syrien geflohen war, erhielt für seine Dienste nach eigenen Angaben 15.000 Dollar.

Wird das Mittelmeer den Schleusern überlassen?

Italien hat seine Operation „Mare Nostrum“, bei der Flüchtlingsboote auf hoher See gestoppt wurden eingestellt. Ersetzt wurde es seit Jahresbeginn durch die Operation „Triton“, die von der EU-Grenzschutzagentur Frontex koordiniert wird. Nun werde den „Schleusern das ganze Mittelmeer überlassen, und nur in Küstennähe wird Europa aktiv“, sagen Kritiker wie der Präsident der deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt. Die Europäische Union wäre gut beraten, in den (Mittelmeer-) Anrainerstaaten mit Verhandlungen, Anreizen und Beratung dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge möglichst gar nicht erst diese Schrottkähne besteigen können.

Der Schweizer Menschenrechtler und Globalisierungskritiker Jean Ziegler sagte dem „Spiegel“: „Die europäische Asylpolitik ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Der Kontinent nehme wissentlich den Tod vieler Menschen in Kauf.