„Charlie Hebdo“ war kein Zufallsziel

„Charlie Hebdo“ war kein Zufallsziel
(AFP)

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Der Angriff auf "Charlie Hebdo" soll laut einem Harvard-Professor Aufmerksamkeit auf die Al Kaida lenken. Die Gruppe wolle zurück in die Schlagzeilen.

Der Anschlag auf die französische Satire-Zeitung „Charlie Hebdo“ hat offenbar die schlimmsten Befürchtungen von Sicherheitsexperten bestätigt: Islamisten im Herzen Europas setzen die Drohungen dschihadistischer Gruppen um, westliche Länder anzugreifen. Das kaltblütige Attentat auf eine Zeitung, die immer wieder mit Karikaturen des Propheten Mohammed für Empörung in der muslimischen Welt sorgte, ist nach Einschätzung von Politologen eine machtvolle Propagandawaffe der Islamisten.

Außerdem könnte die Aufsehen erregende Tat in Paris ihnen bei der Rekrutierung weiterer Kämpfer helfen. „Die Attacke zielte darauf, eine Schockwelle in der internationalen Staatengemeinschaft zu erzeugen“, erklärt Lina Chatib, Direktorin des Carnegie Middle East Centers in Beirut. „Das ’spektakuläre‘ Vorgehen der Attentäter soll den Einfluss der Dschihadistenbewegung in Europa belegen“, sagt sie.

Erfolg

Bisher ist unklar, ob die Attentäter, die am Mittwoch in Paris zwölf Menschen erschossen, direkte Verbindungen zur Gruppierung Islamischer Staat oder zum Terrornetzwerk Al-Kaida haben. Keine dieser Gruppen bekannte sich zunächst zur Planung des Anschlags. Nichtsdestotrotz würden die Dschihadisten sicherlich versuchen, die Bluttat für ihre Zwecke auszuschlachten, meint Max Abrahms, Politikprofessor an der Northeastern University in Boston: „Fraglos werden der IS oder andere Gruppierungen die Pariser Tat als Erfolg preisen, der vervielfältigt werden muss.“ „Charlie Hebdo“ war kein Zufallsziel. Seine zahlreichen Mohammed-Karikaturen provozierten immer wieder strenggläubige Muslime und schon 2011 war die Redaktion Ziel eines Brandanschlags.

Augenzeugen berichteten den Ermittlern, die Attentäter hätten gerufen „Wir haben den Propheten gerächt“. Aber Chatib sieht viel weiter reichende Tatmotive. Frankreich ist ein aktives Mitglied der US-geführten Koalition, die den Islamischen Staat aus der Luft zu schwächen versucht. Französische Truppen sind zudem stark in der afrikanischen Sahel-Zone gegen Dschihadistengruppen engagiert. Das macht Paris zu einem Hauptobjekt des Zorns der Extremisten.

Mordtaten

„Sie wollten allen Staaten und insbesondere denjenigen, die an der Anti-IS-Koalition beteiligt sind, die Botschaft senden, dass sie verwundbar sind“, erklärt Chatib. „Dass die Attentäter mitten in Paris zuschlugen, ist äußerst symbolträchtig; Rache für den Propheten geltend zu machen, ist nur ein Vorwand“, sagt die Direktorin der renommierten Nahost-Denkfabrik. Die Pariser Mordtaten verstärken zudem die Furcht vor nach Europa zurückgekehrten Dschihadisten, die im Herzen des Kontinents Terrorakte verüben könnten.

Tausende Europäer werden in den Reihen des Islamischen Staates vermutet, der sein „Kalifat“ in Gebieten des Irak und Syriens ausrief. Aus Frankreich sollen fast tausend Islamisten in den beiden Ländern sein, 400 von ihnen sollen dort derzeit an Kämpfen beteiligt sein. Sowohl der IS als auch die Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (Aqap), die im Jemen stark ist, haben ihre Anhänger ausdrücklich zu Attacken auf Frankreich aufgefrufen. Im September drang IS-Sprecher Abu Mohamed al-Adschani darauf, „Ungläubige in Frankreich“ zu töten.

„Einmarsch“

Auch das Propagandamagazin der Aqap forderte Anschläge in Frankreich und setzte zugleich „Charlie Hebdo“-Chefredakteur Stephane Charbonnier auf eine Liste der „Meistgehassten“. Er gehört zu den Todesopfern vom Mittwoch. Anhänger der Dschihadistengruppen feierten die Bluttat sofort im Internet. Auffindbar unter Hashtags wie „Paris brennt“ oder „Einmarsch in Paris“ priesen sie die Attentäter im Kurznachrichtendienst Twitter als „Löwen“. US-Professor Abrahms ist sich sicher: „Dieser Anschlag wird im Milieu als Erfolg bewertet. Und wenn Terrorgruppen sich als erfolgreich verkaufen können, wird es für sie in nächster Zeit einfacher, Freiwillige anzuziehen und für ihren Kampf zu rekrutieren.“