Bulgaren/Rumänen – besser als ihr Ruf

Bulgaren/Rumänen – besser als ihr Ruf
(AFP)

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Seit dem 1. Januar 2014 haben Bulgaren und Rumänen uneingeschränkten Zugang zum EU-Arbeitsmarkt. Berlin und London laufen Sturm. Die Medien in Bulgarien reagieren gelassen.

Der 1. Januar 2014 ist für viele nicht nur der erste Tag des neuen Jahres, er markiert regelrecht den Beginn einer „Invasion“, so der Tenor der Botschaften aus Deutschland und Großbritannien. Die Rede ist von tausenden Rumänen und Bulgaren, die seit diesem Datum uneingeschränkten Zugang zum Europäischen Arbeitsmarkt haben. Für den britischen Premier David Cameron und den deutschen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich handelt es sich dabei vorwiegend um Einwanderer, die vordergründig die Großzügigkeit der beiden sozialen Systeme ausnutzen wollen.

Und wie reagieren die Bulgaren selbst auf die harschen Töne aus Berlin und London? Mit Kopfschütteln und Gegenargumenten. Die Medien in Bulgarien haben die Arbeitsauswanderung seit Weihnachten zum Top-Thema gemacht. Keine Nachrichten-, Talk- oder Radiosendung ohne Berichte über die Zahl und die Motive der Arbeitnehmer, die möglicherweise nach dem 1. Januar für einen neuen Job auswandern wollen. Und wo trifft man diese Menschen am ehesten? Reporter haben sich am Flughafen in der Hauptstadt Sofia postiert und Reisende befragt. Eine junge Frau, Anfang 30, erklärt, sie arbeite seit ihrem Uni-Abschluss in Großbritanniens Hauptstadt. Sie habe immer Steuern gezahlt und nie das Sozialsystem dort ausgenutzt. Außerdem weist sie auf ein anderes Problem hin, das auch in anderen westeuropäischen Ländern nicht unbekannt sein dürfte: „Die Regierung in London schafft es nicht, das Problem der generationsübergreifenden Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Es gibt Familien, in denen die Großeltern, die Eltern und womöglich auch die Kinder am Tropf des Sozialstaates hängen.“

Nicht immer ein Gewinn

Bei der Debatte um die Arbeitnehmerfreizügigkeit von Bulgaren und Rumänen muss zwischen hoch- und niedrig- oder unqualifizierten Personen unterschieden werden. Ausserdem es ist nicht in allen Fällen so, dass die Arbeitnehmer aus Südosteuropa auf gepackten Koffern gesessen und auf die Öffnung des Arbeitsmarktes gewartet haben.

Beispiel Computer-Branche. Seit Jahren, heißt es in einer Reportage der Sendung „btv-novinite“ vom 2. Januar, sei die Tendenz des Abgangs von Spezialisten in die EU rückläufig. „Software-Ingenieure mit zehn Jahren Erfahrung verdienen zwei bis drei Tausend Euro monatlich auch in Bulgarien“, erklärt Svetlin Nakow von der nationalen Föderation der Software-Entwickler. Würden diese Fachkräfte ins Ausland auswandern, verdienten sie tatsächlich mehr als hierzulande“, so Nakow weiter. „Doch die höheren Lebenshaltungskosten fressen diesen Mehrverdienst quasi auf“, gibt der Ingenieur zu bedenken.

Für Berufe aus dem Gesundheitsbereich, wie Ärzte oder Krankenschwester, lohnt sich ein Arbeitsplatzwechsel im EU-Ausland. Sie bekommen für die gleiche Tätigkeit einen deutlich höheren Lohn als in Bulgarien oder Rumänien. Erste Auswirkungen der Immigration von über 7.000 Medizinern sind bereits spürbar. So berichtet ein Vertreter des Bulgarischen Ärztebundes, dass es Regionen im Land gäbe, in denen keine Ärzte mehr praktizieren würden.

Kost und Logis

Und doch machen sich vor allem Unqualifizierte auf, um in Betrieben im EU-Ausland zu arbeiten. Auch hier ist der entscheidende Grund der höhere Verdienst für die gleiche Tätigkeit, der auch bei einem höheren Lebensstandard im jeweiligen Land dem Bulgaren oder Rumänen erlaubt, zu sparen und damit die Familie in der Heimat zu unterstützen.

Nicht nur für Fachkräfte auch für Ungelernte aus der gesamten EU gibt es beim Job-Portal der Kommission „Eures“ ein riesiges Angebot an tausenden Stellen. Von der Vertretung der EU-Kommission in Sofia werden Bürger, die sich auf Jobsuche ins Ausland aufmachen wollen, aufgerufen, sich vorher dort zu informieren. Denn bei vielen Stellenanzeigen würden Unterkunft und Sprachkurs von den Arbeitgebern angeboten. Ein Beispiel dafür ist der Europa-Park in Rust (Deutschland).

Angst schüren

In der Debatte um die Arbeitsauswanderung schaltet sich auch der Vorsitzende des Ausschusses für die Beziehungen zwischen Bulgarien und Großbritannien ein. Er nennt die Botschaften aus London, bei denen die Rede von 3,9 Millionen Einwanderern aus Bulgarien ist, „völlige Dummheit“. Denn damit würde, so Kevin Baron von der Labor-Partei, mehr als die Hälfte aller Bulgaren das Land verlassen und auf die Insel einwandern. Diese Parolen, so Baron weiter, der derzeit in der Opposition sitzt, werden für politische Zwecke (der Regierung Cameron) gebraucht.

Gegenargumente liefert am Mittwochmorgen auch der Nachrichtenportal „news.bg“. In einem Artikel zum Thema heißt es, dass die bulgarischen und rumänischen Immigranten wahrscheinlich in Zukunft noch mehr Steuern zahlen und damit noch mehr für die britische Wirtschaft tun werden. Dabei berufen sich die Autoren auf einen Artikel in der britischen Tageszeitung „Daily Telegraph“. Dort erklärt ein Sprecher des britischen Innenministeriums, Großbritannien habe immer von Migranten aus der EU profitiert. Das werde wahrscheinlich auch jetzt mit den hart arbeitenden Bulgaren und Rumänen der Fall sein. In einer rezenten Debatte im britischen Oberhaus erklärte Lord Davis, dass im Unterschied zu der britischen Bevölkerung die Migranten aus der EU „deutlich mehr“ Steuern und Versicherungen bezahlt haben, als sie Sozialleistungen bekommen hätten.

(Desislava Schengen-Dimitrova/Tageblatt.lu)