/ "Bei Klischees muss man genau hinschauen"

(Tageblatt/Hervé Montaigu)
Tageblatt: „Grenzgänger und Räume der Grenze“ – der Titel Ihres neuen Buches hört sich schrecklich „verkopft“ an. Was war Ihr Anliegen?
Christian Wille (Dr.) ist Sozial- und Kulturwissenschaftler und koordiniert seit 2007 interdisziplinäre Projekte in der Forschungseinheit IPSE der Universität Luxemburg. (Bild: Tageblatt/Hervé Montaigu)
Christian Wille: „Wissenschaftler wählen in der Tat manchmal etwas abschreckende Titel für ihre Arbeiten. Aber wenn man sich damit beschäftigt, wird schnell klar, worum es geht. In meinem Fall ging es um die Grenzgänger, die für die Menschen in Luxemburg und in der Großregion selbstverständlich sind.“
Sie haben aber eine andere Perspektive als die der „Arbeitsvariablen“ gewählt …
„Als Sozial- und Kulturwissenschaftler habe ich mich für die Grenzgänger in ihrem Alltag interessiert. Wichtig war dabei die Überlegung, dass durch das tägliche Pendeln Lebenswelten entstehen, die irgendwo zwischen den Ländern um die Grenze herum liegen. Diese grenzüberschreitenden Lebenswelten nenne ich in dem Buch ‚Räume der Grenze‘.“
Sie haben sehr praktisch gearbeitet und dem Alltag von einigen der 156.000 Grenzgänger hier im Land ein menschliches Gesicht gegeben. Wie sieht denn Europa im gelebten Alltag aus?
„In der Großregion fahren etwa 213.000 Grenzgänger täglich über eine Grenze, die meisten kommen ins Großherzogtum. Zu ihrem Alltag gehören lange Anfahrtswege, Wartezeiten im Stau und für Familie und Partner bleibt oft nur wenig Zeit. Trotz der engen Taktung sehen viele Pendler aber auch Vorteile in der Grenzgängerbeschäftigung, wie zum Beispiel berufliche Chancen oder eine höhere Lebensqualität durch den besseren Verdienst oder einfach dadurch, dass das Leben interessanter wird. Vor allem junge Menschen sagen, dass die Erfahrung, im Ausland zu arbeiten, ihr Leben bereichert.“
Sie beschreiben Klischees, die auf beiden Seiten gepflegt werden. Eines davon heißt, Grenzgänger arbeiten nur wegen des Geldes hier und integrieren sich nicht. Stimmt das?
„Dass die Gehälter im Großherzogtum eine große Rolle spielen, braucht nicht diskutiert zu werden. Genauso wichtig ist aber für viele Grenzgänger, überhaupt einen Arbeitsplatz zu besitzen, ihrer Qualifikation entsprechend zu arbeiten oder berufliche Entwicklungsmöglichkeiten zu nutzen, die es in Lothringen, Wallonien oder in Rheinland-Pfalz oft nicht gibt. Ich habe auch Grenzgänger kennen gelernt, die sagen, nur wegen der Sprachen und des internationalen Flairs nach Luxemburg zu kommen. Daran sieht man, dass man bei Klischees genau hinschauen muss.“
Das gesamte Interview lesen Sie in der Montagsausgabe des Tageblatt.
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