Und Franziskus krempelt seine Kirche um

Und Franziskus krempelt seine Kirche um
(dpa-Archiv)

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Die Menschen warten im Regen vor dem Petersdom, dann jubeln sie. Weißer Rauch zeigt an: Es gibt einen Neuen auf dem Stuhl Petri. Das war vor einem Jahr. Und Franziskus packt es an.

Auf dem Petersplatz bricht Jubel wie in einem Fußballstadion aus, ein Aufschrei geht durch die im Regen wartende Menge: Der 266. Papst ist gekürt. Die Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle brauchten fünf Wahlgänge, um denjenigen zu finden, der die katholische Weltkirche der 1,2 Milliarden Gläubigen aus ihren Krisen führen soll. Und in die Moderne des 21. Jahrhunderts, hoffen viele.

Der Pontifex, der da erscheint, geht sofort daran, das Bild der Kirche umzukrempeln, einen neuen Stil und Ton einzuführen. Das zieht die breiten Massen an, schafft eine ungeahnte Begeisterung für den Papst, der so überhaupt nicht moralinsauer zu sein scheint. An den zahlreichen umstrittenen Dogmen der Kirche rührt der erste Papst aus Lateinamerika im ersten Jahr seines Pontifikats indessen nicht.

Volksnah und schlicht

Den argentinischen Nachfolger des überraschend abgetretenen Benedikt XVI. begrüßen Nationalfahnen und Glockengeläut. Er gilt als volksnah und schlicht, als resoluter Kämpfer gegen Korruption und Armut. Vor Jorge Mario Bergoglio, dem Jesuiten und Erzbischof aus Buenos Aires, liegt ein ganzer Berg von Problemen, seine Kirche hat eine Reihe Baustellen. Einige davon packt er sofort an. So lässt er eine Kurienreform vorbereiten und die Vatikanbank, die immer wieder von zweifelhaften Geschäften erschüttert worden war, ein gutes Stück auf Vordermann bringen. Ein „Finanzminister“ soll Ordnung schaffen und der ehemalige Trierer Bischof, Kardinal Reinhard Marx, den neuen Wirtschaftsrat koordinieren.

„Gott hat schon entschieden“, so hatte der kanadische Kardinal Marc Ouellet vor dem Einzug in das Konklave noch gesagt. Kritiker hatten in der Zeit davor Reformstau und die bürokratischen Pannen in Rom attackiert. Mehr Transparenz und Kommunikation am Heiligen Stuhl wie auch zwischen dem Vatikan und den Bischöfen weltweit, dazu weniger Bürokratie – das sind dringende Reformen. Franziskus arbeitet daran, er holt sich mit Pietro Parolin eine gute „rechte Hand“ als Staatssekretär. Seine Maxime: Erst ruhig zuhören und dann handeln.

Reformen nach Charme-Offensive

Das alles soll der erste Papst aus Lateinamerika unter einen Hut zu bekommen versuchen: Fortschritte in der Ökumene, Lockerungen der Sexualmoral, eine stärkere Rolle der Frauen in der Kirche und die Zölibatsfrage bei den katholischen Priestern. So zumindest einige der europäischen Anliegen an den Nachfolger Benedikts. Der eröffnet sein Pontifikat jedoch lieber mit dem Feuerwerk einer Charme-Offensive, predigt und lebt Bescheidenheit, Demut und Nähe zu den Gläubigen.

Er fordert seine Priester auf, an die Ränder der Gesellschaft zu gehen, zu den Armen und Benachteiligten. Und er macht es ihnen vor, wäscht und küsst Gefangenen die Füße, lädt Obdachlose zu seinem Geburtstag ein, fährt für die traditionellen Fastenexerzitien mit seinen Mitarbeitern in einem Bus in die Albaner Berge südöstlich von Rom – erstmals ist nicht der Vatikan Schauplatz dieses „Rückzugs“.

Pop-Star der Kirche

Wie einen Pop-Star, so feiern ihn Millionen beim Weltjugendtag im Sommer an der Copacabana. Auf dem Rückweg von Rio de Janeiro gibt er, was ungewöhnlich ist, eine lange „fliegende Pressekonferenz“ – und macht mit seiner Äußerung Schlagzeilen, wie er denn dazu komme, über Homosexuelle zu richten. Er weckt so Hoffnungen auf Reformen, auch in der heißen Debatte zum Sakrament für wiederverheiratete Geschiedene. Seine „Arme Kirche der Armen“ öffnet sich, kann auf Pomp verzichten. Auch wenn es inzwischen in Italien ein ihm gewidmetes Papst-Magazin „Il mio Papa“ mit Poster gibt, will er doch kein „Supermann“ sein.

Doch in der strengen Kirchenlehre macht sich kaum Bewegung bemerkbar. „Der Papst ändert den Tonfall, nicht die Lehraussagen“, meinte der US-Kardinal Sean O’Malley aus Boston in einem Interview. Der Erzbischof sieht für eine Lockerung der Regeln allerdings auch keine „theologische Rechtfertigung“. O’Malley gehört dem achtköpfigen Kardinalsgremium an, das Franziskus in Sachen Kurienreform berät.

Wenig Sinn für Prunk und Protz

Franziskus (77) predigt Barmherzigkeit, Evangelisierung, er sorgt sich um Flüchtlinge und Ausgegrenzte. Sein Engagement für ein Ende des Blutvergießens in Syrien ist groß, die Abneigung gegen Prunk und Protokoll demonstrativ. In den Apostolischen Palast zieht er nicht, der große Kommunikator mag das Gästehaus des Vatikans. Was der etwas hemdsärmelige Mann auf dem Stuhl Petri nun wirklich will, darüber rätseln in Rom manche Vatikan-Kenner, andernorts auch die Bischöfe.

Seine herzlichen und ungezwungenen Auftritte auf dem Petersplatz und bei Reisen trugen ihm bereits den Vorwurf eines leichtfertigen Populismus ein. Doch das neue Bild der Kirche hat er derweil bereits geschaffen. Vielleicht macht er es wie Johannes Paul II., der die Herzen eroberte und sein konservatives Denken von dem Präfekten der Glaubenskongregation verkünden ließ. Das war damals der Deutsche Joseph Ratzinger.

Überraschungen nicht ausgeschlossen

Seine erste Enzyklika trug noch ganz deutlich die Handschrift seines Vorgängers, des Theologen Ratzinger. Sein erstes Konsistorium zeigte einen Papst der offenen Arme: Er hat so auch die „Ränder“ der Welt im Blick, wenn er neue Kardinäle vor allem aus Lateinamerika ernennt. Und er dürfte in seinem Pontifikat noch für Überraschungen gut sein. Den hochrangigen Mandarinen hinter den Palastmauern des Vatikans hat er schon die Zähne gezeigt, den Kurswechsel eingeleitet.

Was die katholischen Gläubigen denken, will Franziskus auch wissen: Er hat eine weltweite Umfrage auf den Weg gebracht. Sie scheint vor allem deutlich zu zeigen, wie riesig die Kluft zwischen der Lehre der katholischen Kirche und dem Alltag der Gläubigen ist.