/ Texas: Todesstrafe auf dem Prüfstand
Im Prozess um einen Mordfall hatte der Bezirksrichter Kevin Fine Anfang des Jahres einen Antrag der Verteidigung zugelassen, der die Verfassungsmäßigkeit der Hinrichtung von Straftätern infrage stellt. Für seine Entscheidung musste Fine heftige Kritik einstecken, nicht zuletzt vonseiten der Politik. Doch er blieb dabei: Die Methoden, mit denen der Staat Bürger zum Tode verurteilt, seien womöglich nicht mit der Verfassung vereinbar. Bevor er in seinem Mordfall fortfahren könne, brauche er mehr Informationen. Als Zeugen bei der nun beginnenden Anhörung werden daher unter anderem Rechtsmediziner und Kriminalexperten erwartet.
Fine beteuert, dass er nicht grundsätzlich gegen die Todesstrafe ist. Doch er will mehr darüber wissen, wie es hinter den Kulissen zugeht, auf welcher Grundlage Begebenheiten zu Beweisen werden, die über Leben und Tod entscheiden können. Im konkreten Fall geht es um den Angeklagten John Edward Green, der bei einem bewaffneten Raubüberfall im Juni 2008 eine Frau aus der texanischen Stadt Houston getötet und ihre Schwester schwer verletzt haben soll.
Texas steht zur Todesstrafe
In Texas ist die Mehrheit der Bevölkerung von der Sinnhaftigkeit der Todesstrafe bei Kapitalverbrechen überzeugt. Und der Bezirk Harris, in dem auch die Millionenstadt Houston liegt, sticht hinsichtlich der Zahl der Hinrichtungen selbst in Texas noch heraus. In jüngster Zeit mehren sich aber auch hier die Zweifel. Vor allem, nachdem in zwei Fällen nachträglich bewiesen werden konnte, dass von Staats wegen Getötete unschuldig waren.
Fine wollte unmittelbar vor Beginn der Verhandlung keinen Kommentar abgeben. Zu einem früheren Zeitpunkt hatte er aber bereits erklärt, die jüngsten Entlastungen seien ihm bekannt, und für seine Entscheidung im aktuellen Fall gehe es ihm letztendlich darum „ob eine unschuldige Person exekutiert worden ist oder nicht“.
In der Verhandlung, die bis zu zwei Wochen dauern könnte, wollen die Anwälte des Angeklagten Green aufzeigen, wie Fehler etwa in der Bewertung von Augenzeugenberichten oder Geständnissen zu falschen Urteilen führen können. „Wir behaupten nicht, dass ein Staat nicht das Recht hat, straffällige Bürger zum Tode zu verurteilen“, sagt Rechtsanwalt Casey Keirnan. „Wir behaupten nur, dass die Art und Weise, wie dies in Texas geschieht, gegen die Verfassung verstößt.“
„Beträchtliches Risiko“ für Unschuldige
Keirnan beruft sich vor allem auf den achten US-Verfassungszusatz, der grausame und ungewöhnliche Bestrafung verbietet. Die Todesstrafe stelle ein „beträchtliches Risiko“ dar, dass unschuldige Bürger fälschlicherweise hingerichtet würden.
Die Staatsanwaltschaft des Bezirks hatte vergeblich versucht, Richter Fine von dem Fall zu entbinden. Da Fine eine „Feindschaft gegenüber der Todesstrafe“ gezeigt habe, wollte sie eine Jury über Green entscheiden lassen. Außerdem erklärten sie in einer Petition, höhere Gerichte, einschließlich des Obersten Gerichtshofes, hätten Klagen gegen die Todesstrafe mit Verweis auf den achten Verfassungszusatz längst abgewiesen.
System in Ruhe überdenken
Gegner der Todesstrafe loben Fine für sein Vorgehen. „Es ist absolut angemessen, dass ein Bezirksrichter in Harris sich hinstellt und sagt, man müsse mal eine Pause machen, um darüber nachzudenken, ob das System wirklich in Ordnung ist“, sagt Scott Cobb, der das Texas Moratorium Network leitet, eine Gruppe, die sich für einen generellen Aufschub von Hinrichtungen in dem US-Staat wendet – seit 1982 sind allein in Harris 286 Menschen zum Tode verurteilt und 115 hingerichtet worden.
Der Houstoner Rechtsexperte Dudley Sharp hingegen hält Fine für verantwortungslos. Sollte er die Todesstrafe tatsächlich für verfassungswidrig erklären, werde die Entscheidung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin von einem Berufungsgericht wieder aufgehoben.
dapd
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