Siim Kallas gibt Startschuss für „Jean Monnet II“

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Der für Verwaltung, Audit und Betrugsbekämpfung zuständige Vize-Präsident der EU-Kommission, Siim Kallas, weilt heute in Luxemburg, wo er mit dem Minister für öffentliche Bauten, Claude Wiseler, das „Memorandum of Understanding“ für den Bau des neuen Kommissionsgebäudes „Jean Monnet II“ unterzeichnen wird. Von unserer Korrespondentin Marisandra Ozolins, Brüssel.

Dies sei „ein glückliches Ereignis“ nach zweijährigen Verhandlungen mit der luxemburgischen Regierung, erklärte uns der aus Estland stammende Kommissar im Vorfeld seines Besuchs. Das neue Gebäude, kurz auch JM02 genannt, mit einer Gesamtfläche von 120.000 m2, soll das veraltete „Jean Monnet I“ auf dem Kirchberg ersetzen, dessen Betriebsgenehmigung Ende 2014 ausläuft. Damit konkretisiert die Kommission ihre Gebäudepolitik in Luxemburg, wo der Kirchberg Hauptstandort bleibt und wo sie insgesamt 3.500 Personen auf den Standorten Kirchberg und Gasperich beschäftigt.

Der Staat Luxemburg wird der Bauherr des neuen Gebäudekomplexes sein, in enger Zusammenarbeit mit der Kommission, die das JM02 zum „Flaggschiff“ der EU-Behörde im Großherzogtum machen will.

„Schön und umweltgerecht“

Zu diesem Zweck soll Siim Kallas zufolge demnächst ein internationaler Architektur-Wettbewerb ausgerufen werden. Mit zwei obersten Geboten: das Gebäude muss „schön und umweltgerecht“ sein. Den von der Kommission definierten Grundsätzen für ihre Architekturpolitik zufolge müssen in der Tat die Neubauten nicht nur von hoher Bauqualität sein, sondern auch strengsten Erfordernissen in Sachen Energieeffizienz und Verringerung der Umweltbelastung entsprechen. Sie sollen darüber hinaus leichten Zugang für behinderte Personen und zu öffentlichen Verkehrsmitteln bieten. Nicht zuletzt sollen sie sich „auf harmonische und kohärente Weise“ in das Stadtbild einfügen und durch ihren Aspekt die „Kühnheit und Dynamik des europäischen Projekts“ ausstrahlen.

Nach der Auswahl des Architektenprojekts im nächsten Jahr und dem Abschluss des Bauvertrags dürfte es mit dem eigentlichen Bau des JM02 „ziemlich schnell“ gehen, meint Kallas, der auf die Fertigstellung bis zum Ende des nächsten Kommissionsmandats im Jahr 2014 hofft.

Anlässlich seines Aufenthaltes wird der Vizepräsident der Kommission mit Minister Wiseler auch das Thema der Europäischen Schulen erörtern. Um sich laut seiner Sprecherin Valérie Rampi zu vergewissern, dass die neue Europaschule Luxemburg II in Mamer wie geplant zur „Rentrée“ im September 2011 eröffnet wird.

Die Einhaltung des Termins ist für die Kommission aufgrund der Überfüllung der Schule Luxemburg I von wesentlicher Bedeutung. Die ursprüngliche Aufnahmekapazität von 3.000 Schülern ist in der Tat mit derzeit 4.300 Schülern weit übertroffen. Das Problem der Übervölkerung betrifft aber auch andere der insgesamt 14 Europäischen Schulen in der EU, darunter vor allem in Brüssel.

Beachtliche Bilanz

Um dieses Problem anzugehen und nicht nur Kindern von EU-Beamten den Zugang zu ermöglichen, hat Siim Kallas im Jahr 2005 eine Reform der Europaschulen angeregt, die im April dieses Jahres beschlossen wurde. Kernstück der Reform ist eine Öffnung des Systems der Europäischen Schulen, das aus dem Jahr 1953 stammt. Anerkannt werden jetzt auch nationale Schulen unter der Bedingung, dass sie ein europäisches Lehrprogramm und das europäische Abitur anbieten.

Dies ist eine der Errungenschaften, die auf Initiative des estnischen Kommissars zurückzuführen sind. Ein Kommissar, der im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen kein „Star“ der Kommission ist. Siim Kallas ist nicht besonders medienträchtig und von seinem Auftreten her eher bescheiden. Man muss schon in seinem Lebenslauf nachforschen, um sich zu erinnern, dass er ein ehemaliger Premierminister und zuvor Außenminister sowie Finanzminister seines Landes ist und dass er auch Präsident der Bank von Estland war.

Seine Bilanz in der EU-Kommission seit 2004 ist jedenfalls beachtlich. Unter anderem ist er der Initiator des Registers der Lobbyisten in Brüssel, auf dem sich seiner Sprecherin zufolge seit einem Jahr nahezu 2.000 Organisationen eingetragen haben. Er hat auch für eine bessere Verwaltung der EU-Gelder sowie für Transparenz bei der Vergabe dieser Mittel gesorgt, zum Beispiel durch die Offenlegung im Internet der Empfänger der Agrarsubventionen. Siim Kallas sollte auch der nächsten Kommission angehören, nachdem Estland ihn bereits offiziell designiert hat (siehe Kasten).

Siim Kallas: Barroso „so unter Druck, dass er frei ist“

Siim Kallas bleibt also möglicherweise fünf weitere Jahre im Berlaymont. Seine Regierung designierte ihn am Tag nach der Wiederwahl von José Manuel Barroso an der Spitze der EU-Kommission durch das Europaparlament. Zu seiner künftigen Funktion gibt sich der Este jedoch reserviert. Vom irischen Referendum am 2. Oktober über den Lissabon-Vertrag werde es abhängen, ob Estland überhaupt „einen Kommissar haben wird oder nicht“, meint er nicht ohne Humor. Dieselbe Aufgabe weiterzuführen habe sicher Vorteile. „Ich kenne meine Arbeit“, sagt Kallas. Vielleicht sei aber nach fünf Jahren eine Rotation vorzuziehen. Jedenfalls sei die Aufteilung der Portfolios der Kommissare „völlig offen“. Und Barroso befinde sich „unter einem derartigen Druck von so vielen Regierungen“, einem Druck „voller Widersprüche“, so dass sich das Ganze ausbalanciere und der Kommissionspräsident im Endeffekt „völlig frei“ sei. Das laufende Jahr sei „nicht sehr positiv“ gewesen, bedauert Kallas, der von einer „großen Ungewissheit“ spricht.
Die künftige Kommission werde jedenfalls vorerst auf dem bestehenden Nizza-Vertrag basiert werden.
Ob es dabei „für immer“ bleibt (falls die Iren Nein sagen), oder ob nach ein paar Monaten der von allen ratifizierte Lissabon-Vertrag in Kraft treten kann, bleibe
abzuwarten. Für Siim Kallas „keine beneidenswerte Situation“.  mo