„Schauen Sie mir in die Augen!“

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"Schauen Sie mir in die Augen!", fordert ein Sanitäter der Feuerwehr im elsässischen Städtchen Haguenau eine junge Frau auf. "Ihr Bewusstsein lässt los, Ihr Körper entspannt sich", fährt er mit ruhiger, beruhigender Stimme fort.

Der Sanitäter gehört zu rund 120 elsässischen Feuerwehrleuten, die eine Grundausbildung in Hypnose erhalten – eine Premiere in Frankreich. Die Hypnosetechnik sollen sie in traumatischen Notsituationen einsetzen, wenn etwa Menschen in Unfallautos eingeklemmt oder unter Geröll begraben sind, oder wenn Asthma Patienten einen akuten Anfall haben. „Wir verwenden verbale Methoden, eine bestimmte Gestik, Atemtechniken“, erläutert Cécile Colas-Nguyen, Sanitäterin bei der Feuerwehr im Elsass und zuständig für die Hypnose Ausbildung. Ziel sei es, Schmerzen zu lindern, Ängste abzubauen und Trauma-Opfer zu beruhigen, betont die ausgebildete Hebamme und Hypnotherapeutin. Die Hypnose ersetze aber in keinem Fall die klassische Notfallmedizin.

Während ein Rettungsteam eine Infusion vorbereitet und Techniker beginnen, einen Unfallwagen aufzusägen, bemüht sich der in Hypnose ausgebildete Sanitäter, einen Kontakt zu dem Opfer herzustellen. Anschließend versucht er, dessen Aufmerksamkeit abzulenken, weit weg von der traumatisierende Lage, in der sich das Opfer befindet. Wichtig ist dabei ein besänftigender Ton. Auch vermeidet der Hypnotherapeut negative Vokabeln – er spricht eher vom „Wohlbefinden“ eines Opfers als von dessen Schmerzen. „Während meine Kollegen sich um Ihre Sicherheit kümmern, wird Ihr Geist sich entfernen, er wird sich auf eine Skipiste befinden“, schlägt ein junger Feuerwehrmann einer Frau vor, die während des Trainings ein Unfallopfer darstellt und sich zuvor als begeisterte Skifahrerin zu erkennen gegeben hatte.

Hypnose zur Beruhigung

Der Chef der Feuerwehrwache von Haguenau, David Ernenwein, ist überzeugt davon, dass die Methode wirkt. Die allererste Hilfeleistung sei es, Opfer zu beruhigen und dabei helfe die Hypnose, sagt er. Feuerwehr Chefarzt Yves Durrmann hofft nun, dass das Experiment auf ganz Frankreich ausgeweitet wird. Dazu wollen die Feuerwehrleute ihre Erfahrungen mindestens sechs Monate lang genau aufzeichnen und dann auswerten. In einem Register vermerken sie bestimme medizinische Daten, wie den Herzrhythmus, die erlebte Intensität der Schmerzen oder Anzeichen von Emotionen. Diese Ergebnisse werden dann mit Aufzeichnungen von Notfall Einsätzen ohne Hypnose verglichen.

Die ersten Erfahrungen seien bereits positiv, versichert Cécile Colas-Nguyen. So habe jedes der behandelten Opfer die Dauer des Feuerwehreinsatzes kürzer eingeschätzt, als sie tatsächlich gewesen sei. Im Pariser Innenministerium wird das Experiment wohlwollend, aber zugleich vorsichtig bewertet. „Dass ärztliche Hypnose wirkt, ist seit langem bekannt“, betont Stephan Donnadieu, ärztlicher Berater bei der französischen Zentrale für Zivilschutz. Die Feuerwehrleute müssten dazu aber gut ausgebildet werden. Tatsächlich erhielten sie aber nur ein kurzes Training. Daher könne nicht wirklich von Hypnose gesprochen werden, sondern eher von der Anwendung „bestimmter Hypnose-Praktiken“. Wenn die Rettungsleute damit die Opfer beruhigen könnten und selbst mehr Mitgefühl und Aufmerksamkeit entwickelten, sei dies schon ein Erfolg.

Der Vize-Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für ärztliche Hypnose und Autogenes Training, der Mainzer Psychiater Siegfried Stephan, hält das Experiment im Elsass für „durchaus interessant“. Bei der Behandlung von Traumata werde Hypnose oft mit Erfolg eingesetzt, betont er. Die Methode könne beispielsweise auch helfen, wenn Unfallopfer etwa in ihren verunglückten Autos eingeklemmt seien und daher nicht sofort von einem Notarzt behandelt werden könnten.