Mord oder tragischer Irrtum?

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(dpa/Archiv)

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Einer der spektakulärsten Prozesse der Justizgeschichte Südafrikas geht zuende. Im Zentrum steht der einstige Nationalheld Oscar Pistorius. Jetzt wartet die Welt auf die Plädoyers - und das Urteil.

Der Mammutprozess gegen den südafrikanischen Paralympics-Star Oscar Pistorius geht nach fünf Monaten auf die Zielgerade. Staatsanwaltschaft und Verteidigung wollen am Donnerstag und Freitag ihre mit Spannung erwarteten abschließenden Plädoyers halten. Es geht um die Frage: Hat der heute 27-jährige Prothesensprinter seine Freundin Reeva Steenkamp in der Nacht zum 14. Februar 2013 vorsätzlich durch eine geschlossene Badezimmertür erschossen – oder handelte es sich um einen tragischen Irrtum?

Pistorius selbst hat stets beteuert, hinter der Toilettentür einen Einbrecher vermutet und in Panik gehandelt zu haben. Er präsentierte sich während des Anfang März begonnenen Prozesses als hoch emotionaler Mann, der von Schuldgefühlen geplagt wird. Immer wieder brach er in Tränen aus, mehrfach übergab er sich.

„Intensive Angststörung“

Sein Anwalt Barry Roux hat stets betont, dass die Behinderung in dem Angeklagten eine ausgeprägte Angst vor Verbrechen ausgelöst habe – auch, weil seine Heimat unter einer enorm hohen Gewaltkriminalität leide. Eine Gutachterin bescheinigte dem unterschenkelamputierten Prothesensprinter tatsächlich eine „intensive Angststörung“.

Zudem argumentiert Roux mit stümperhaftem Vorgehen der Polizei bei der Tatort- und Beweissicherung. Dies habe zu verwirrenden Angaben über die Lage von Gegenständen im Haus geführt – eine Erklärung für Widersprüche in Pistorius‘ Aussagen über Details der Nacht.

„Kaltblütiger Mord“

Staatsanwalt Gerrie Nel will Richterin Thokozile Masipa in seiner Schlussrede hingegen davon überzeugen, dass es sich bei der Tat um «kaltblütigen Mord» gehandelt hat. Aus seiner Sicht gab es vor den tödlichen Schüssen gegen 3.00 Uhr nachts einen heftigen Streit zwischen Pistorius und seiner 29-jährigen Freundin. Nachbarn wollen laute Frauenschreie gehört haben.

Auch wird Nel vermutlich fragen: Wie glaubwürdig ist es, dass jemand nachts aus dem Bett steigt und sich angesichts verdächtiger Geräusche nicht vergewissert, wo sich seine Freundin gerade aufhält? Außerdem wurde Steenkamp stehend hinter der verschlossenen Tür von den Kugeln getroffen. Dies lasse darauf schließen, dass sie durch die Tür mit Pistorius kommunizierte, so ein anderes von Nels Argumenten.

Urteil Ende August

39 Prozesstage und 36 Zeugen – darunter Forensiker, Psychiater, Nachbarn und Polizisten – konnten die genauen Hintergründe der Tat letztlich nicht klären. Masipa muss sich deshalb bei ihrer Urteilsfindung vor allem auf Indizien verlassen. Roux und Nel werden versuchen, bei ihren Plädoyers noch einmal alle juristischen Register zu ziehen und die Richterin mit rhetorischer Finesse von ihrer jeweiligen Version zu überzeugen.

Wird Pistorius für schuldig befunden, droht ihm eine lebenslange Haftstrafe. Das Urteil soll Ende August fallen.