/ Leichter Hauch von Aufbruchstimmung
„Mit einfachen Ideen flog ich in den komplizierten Orient“, schrieb General de Gaulle in seinen Kriegsmemoiren über seine erste Reise in den Nahen Osten als Führer des Freien Frankreichs vor über 60 Jahren. Die Staatschefs und Außenminister, die sich gestern im ägyptischen Badeort Scharm El-Scheich zu einer Konferenz für den Wiederaufbau des vollständig zerbombten Gazastreifens einfanden, sind wohl einverstanden mit dem zweiten Teil des Spruches von De Gaulle.
4,5 Milliarden Dollar
Rund drei Milliarden Dollar forderte der palästinensische Präsident und FatahMitglied Mahmud Abbas für den Wiederaufbau des
Küstenstreifens. 4,5 Milliarden kamen zusammen. Laut dem palästinensischen Ministerpräsidenten Salam Fajad wurden während des Krieges in Gaza 4.500 Häuser vollständig zerstört. Weitere 11.500 sind teilweise so stark beschädigt, dass sie kaum bewohnbar sind. Der Wiederaufbau dieser Häuser sowie die Infrastrukturarbeiten (Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, usw.), die zusätzlich anstehen, sollen allein 500 Millionen Dollar kosten. |
In der Tat wurden die eigentlichen Herren von Gaza, die Hamas, erst gar nicht zur Konferenz eingeladen. Für die internationale Gemeinschaft ist die militante islamistische Gruppierung immer noch eine Persona non grata, eine terroristische Organisation. Solange sich die untereinander bis aufs Messer zerstrittenen palästinensischen Faktionen, allen voran die Hamas und die Fatah, nicht auf eine gemeinsame Regierung einigen können, fungiert die Fatah – unter dem Schirm der international anerkannten palästinensischen Autorität – als Bittsteller. Dabei ist es kein Geheimnis, dass die Strukturen der Fatah im Gazastreifen nicht mehr existent sind.
Unklar ist weiterhin, wie die finanziellen Hilfen verteilt werden sollen. Die Teile der Gelder, die für humanitäre Hilfe bestimmt sind, sollen über die UNRWA geleitet werden, andere aber über das Rote Kreuz und ähnliche Organisationen.
Aber wie will man die Infrastrukturen, die zerstörten Schulen, die Krankenhäuser, die tausenden Eigenheime, ja, die gesamte Wirtschaft wieder aufbauen, wenn man offiziell – oder nur indirekt – mit der Hamas keine Verhandlungen führt? Spannt man also wieder mal den Karren vor den Ochsen, in einer eh komplizierten Region?
Jede Nation von Gewicht fährt nämlich seine eigene Agenda. Den Ägyptern geht es neben einer Regelung der Probleme in Gaza auch darum, wieder erneut größere Solidarität mit den Palästinensern zu zeigen.
Das Land am Nil war während des Gazakriegs doch politisch sehr zurückhaltend gegenüber Israel. „Die Regierung versucht hier zu punkten, um bei der heimischen Bevölkerung besser anzukommen“, meinte ein ägyptischer Kollege dem Tageblatt gegenüber. Das Land verliert auch politisch an Gewicht in der Region – vor allem zugunsten Irans. Die Konferenz kommt deshalb sehr gelegen, um das eigene Image wieder aufzupolieren.
Ähnlich geht es Co-Organisator Frankreich. Im Zuge der katastrophalen US-Politik unter Bush und dem damit einhergehenden Imageverlust will Paris mit der Mittelmeerunion wieder seinen Einfluss in der Region stärken. Das schwer aus den Startlöchern kommende Projekt wurde von den Partnern am südlichen Ufer jäh gestoppt, als die Bomben auf Gaza fielen.
„Status quoist keine Lösung“
Die USA haben im Vorfeld schon für großes Erstaunen gesorgt, als Washington ankündigte, 900 Millionen Dollar für Gaza bereitzustellen. Gewiss ein politischer Umschwung für den Nahen Osten, der sich nahtlos in die „Change“-Politik von Präsident Obama einreiht. Auch wenn die neue US-Administration die verheerende Politik von George W. Bush nicht fortsetzen wird, so muss doch auch Obama hier schon einiges wiedergutmachen. Als gewählter Präsident, aber noch nicht im Amt, hatte Obama bereits zu allen wichtigen Problemen Stellung bezogen. Nur über den Gazakrieg und den israelisch-palästinensischen „Friedensprozess“ schwieg er sich aus.
Dies hat für viel Unmut in der arabischen Welt gesorgt. Darüber hinaus machte US-Außenministerin Hillary Clinton gestern klar, dass nur ein Drittel der Gelder für Gaza bestimmt sei. Doch damit nicht genug, es wird sich dabei nur um Gelder für humanitäre Hilfe handeln, die durch UNOrganisationen verteilt werden soll. Keinen Cent will man der Hamas geben. Dies ist wenig erstaunlich. Einerseits ist es eine erfreuliche Nachricht, da man in Washington wieder auf die multilaterale Schiene setzt. Andererseits, da es sich nur um humanitäre Hilfe handelt, Projekte also, die eher kurzfristig angelegt sind, müssen sie sich auch nicht um die langfristige Wahrung dieser Interessen kümmern.
Die USA umgehen damit das Problem, das den Europäern und den Japanern anhaftet. In schöner Regelmäßigkeit werden die von ihnen finanzierten Projekte von Israel im Zuge von „Vergeltungsmaßnahmen“ oder „Strafaktionen“ zerstört.
Bis dato musste der Staat Israel nicht mit einem Cent für die von ihm durchgeführten Zerstörungen haften. Dies wird Israel wahrscheinlich auch weiterhin nicht müssen, da die USA wohl die einzige Nation gewesen wären, die Tel Aviv dazu hätte zwingen können. „Change“ also, aber momentan nur in sehr begrenztem Maße für die US-Politik.
Bleiben die eigentlichen Geldgeber: die Golfländer, die EU, die EU-Mitgliedsländer und Japan. Hinter den Kulissen wird einigen Golfstaaten – allen voran Saudi-Arabien und Kuwait – vorgeworfen, zwar vollmundig Geldspritzen anzukündigen, es aber nicht so recht mit der Umsetzung dieser Versprechen zu halten. „Bestes Beispiel ist die Geberkonferenz für den wirtschaftlichen Aufbau der palästinensischen Gebiete im Dezember 2008“, so ein europäischer Diplomat dem Tageblatt gegenüber. Damals wurde ein Gesamtpaket von 21 Milliarden Dollar verteilt auf drei Jahre versprochen. „Auf substanzielle Summen aus den Töpfen der Golfstaaten wartet man noch immer“, so der Diplomat.
Norwegen, das die Rolle des „honest broker“ während der Konferenz einnimmt, gab schon früh die Linie für einen erneuten finanziellen Kraftakt der EU-Länder und Japan vor. Man wird die bereits in Paris und bei anderen Gegebenheiten eingegangenen Versprechungen einhalten. Zusätzliche Mittel, bis dato lagen noch nicht alle Verpflichtungen vor, sollen vor allem über internationale Organisationen gefiltert werden. „Die Projekte müssen multilateral aufgelegt werden, die Lage also in ihrer Gesamtheit angegangen werden. Es genügt einfach nicht, dass ein Geberland mal so ein Treibhaus errichten lässt, ohne dabei auf die Dringlichkeit der Projekte und die Bedürfnisse der Bevölkerung einzugehen“, erklärte Jean Asselborn.
Rückkehrder US-Politik
Viel Wind also um nichts? Nicht unbedingt. Denn auch wenn die versprochenen zusätzlichen Gelder quasi dem sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein entsprechen, kam doch gestern während der Konferenz so etwas wie Aufbruchsstimmung auf. Natürlich sind sich alle Teilnehmer bewusst, dass ohne eine politische Verbesserung die nächste Geldgeberkonferenz schon eingeplant werden kann. Der Umschwung in der US-Politik und der scheinbare Wille der Amerikaner, auch Druck auf Israel auszuüben und (äußerst) indirekt auch mit der Hamas zu reden, könnten zu konkreten Verbesserungen führen.
Kurzfristig geht es natürlich um die Verbesserung der Lebensbedingungen in Gaza. Neben den Geldmitteln muss aber auch die Blockade des Küstenstreifens aufgehoben werden. Und dies nicht nur zur Grenze Ägyptens hin. „Der Status quo in dieser Angelegenheit kann keine Lösung sein“, meinte Frankreichs Präsident Sarkozy. Die internationale Gemeinschaft drängt in dieser Frage auf eine rasche Lösung, die einerseits den „Gazaouis“ Entlastung bringen soll, andererseits aber auch Israels Sicherheit wahrt.
Ein weiterer Punkt ist die Bildung einer einheitlichen Regierung der Palästinenser, die also sowohl die Fatah als auch die Hamas mit einbezieht. Beide haben letzte Woche eine Vereinbarung getroffen, die vorsieht, bis Ende März eine Regierung auf die Beine zu stellen. „Die Gräben zwischen diesen beiden Faktionen sind mittlerweile so tief, dass man kaum von einer tiefgreifenden Versöhnung in kurzer Zeit ausgehen kann“, so Jean Asselborn. „Dies muss aber nicht bedeuten, dass keine Regierung zustande kommt.“ Der luxemburgische Außenminister schätzt, dass diesmal die internationale Gemeinschaft eher bereit ist, mit einer Regierung, an der die Hamas beteiligt ist, zusammenzuarbeiten.
Letztlich weiß man aber von der Gefahr, dass die vermeintlich nächste Regierung Israels, unter Beteiligung der Falken von der Likud-Partei und der Rechtsextremisten um Joseph Lieberman, einen kompromisslosen Kurs gegenüber den Palästinensern fahren wird. Tatsächlich nutzten viele Teilnehmer die Konferenz auch dazu, Israel ein Signal zu senden, doch endlich mit dem Ausbau der Siedlungen in der Westbank aufzuhören und sich ehrlich um Frieden zu bemühen.
Zwar hielt Hillary Clinton eine sehr gemäßigte Rede, doch auch sie richtete einen Appell an Israel, dass es seine Sicherheit nicht allein auf militärische Dominanz basieren kann. „Der Groschen muss auch langsam mal in Israel fallen“, meinte Asselborn. „Das Elend in Gaza spielt doch der Hamas in die Hände und der Ausbau der Siedlungen in der Westbank schwächt die gemäßigten Kräfte unter den Palästinensern.“
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