Kurswechsel von Schwarz-Rot zu Schwarz-Gelb

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Ein historisches Desaster für die SPD verhilft den Christdemokraten und den Liberalen zu einer schwarz-gelben Koalition. Damit ist die große Koalition beendet. Deutschland steht ein Kurswechsel bevor./ Von unserem Korrespondenten Max Malik, Berlin

Bei der SPD geht es um die Zukunft der Partei sowie um inhaltliche und mögliche personelle Konsequenzen. In der SPD-Zentrale im Willy-Brandt-Haus lösten die Prognosen und ersten Hochrechnungen, die kurz nach Schließen der Wahllokale am Sonntag veröffentlicht wurden, eine Schockstarre aus. Mit dem schwächsten Ergebnis seit dem Krieg – rund 23 Prozent – hat die Partei nicht gerechnet.
Die CDU büßte geringfügig an Stimmen ein und landete bei rund 33,5 Prozent. Doch das starke Ergebnis der FDP (rund 14,5 Prozent), das beste, das sie je auf Bundesebene hatte, macht es möglich: CDU/CSU und FDP bilden zusammen eine komfortable Regierungsmehrheit, ohne dass sie auf Überhangmandate zurückgreifen müssen.
Die anderen Parteien: Die Linkspartei erzielte rund 13 Prozent, die Grünen knapp über zehn Prozent – in beiden Fällen die jeweils besten Resultate ihrer Geschichte auf Bundesebene.

NiedrigsteWahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung war mit 71,2 Prozent die niedrigste seit Bestehen der Bundesrepublik. Der bisherige Negativrekord vor vier Jahren (77,7 Prozent) wurde demnach deutlich unterboten.
In der SPD regiert nun das Entsetzen. Im Willy-Brandt-Haus bricht eine Grundsatzdebatte über die Neuausrichtung der Partei aus. Elf Jahre am Stück hatte die SPD Regierungsverantwortung getragen. Nun wird sie sich in der Opposition von Grund auf erneuern müssen.
Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier war schon äußerst bescheiden gewesen, als er 25 Prozent als untere Messlatte angesetzt hatte. Dass nicht einmal das geklappt hat, katapultiert die Sozialdemokraten aus der Regierungsverantwortung. Sowohl Steinmeier als auch Parteichef Franz Müntefering wollen jedoch vorerst weitermachen. Steinmeier bezeichnete das Ergebnis als „bittere Niederlage“ und sagte, man könne nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Die SPD werde nun eine Oppositionspartei sein, die die neue Mannschaft genau beobachten werde, „ob sie es können, und ich habe meine Zweifel, dass sie es können“. Einen Rückmarsch in die neunziger Jahre durch die schwarz-gelbe Koalition werde die SPD als Opposition nicht zulassen.
Nach dem ersten Schock ließen die SPD-Anhänger in der Parteizentrale Steinmeier kaum zu Wort kommen. Mit frenetischem Applaus, als hätte der Kanzlerkandidat gewonnen, machte sich die Partei selbst Mut. Von möglichen Rücktritten gab es am Wahlabend nicht die geringste Andeutung. Steinmeier nimmt die Rolle als Oppositionschef an und wird demnach Chef der Bundestagsfraktion. „Gerade an so einem bitteren Tag werde ich aus der Verantwortung nicht fliehen.“

Die Jungenwählten nicht die SPD

Müntefering schien vom Ergebnis noch tiefer getroffen als Steinmeier; aus der versteinerten Miene hätte man fast ablesen können, dass er seinen Rückzug ankündigen würde. Dem war aber nicht so. Weitere Entscheidungen treffen die Parteigremien. Mitte November findet der nächste Bundesparteitag statt. Die SPD wird sich eingestehen müssen, dass sie kaum personelles Reservoir für Führungsnachwuchs hat. Verloren hat die SPD an die Linkspartei, an die Grünen und an die immer größer werdende Gruppe der Nichtwähler. Alarmierend muss sie zur Kenntnis nehmen, dass sie die stärksten Sympathieverluste bei den jungen Wählern hat.
Für die CDU meldete sich Parteichefin Angela Merkel gut eine Stunde nach dem Schließen der Wahllokale sehr gelöst öffentlich zu Wort. Dass die CDU etwas abgesackt ist und eines der schlechtesten Ergebnisse eingefahren hat, fiel kaum ins Gewicht. Die Partei stellt nach wie vor die Regierungschefin, und das zweite Ziel, das Merkel angepeilt hatte, ist ebenfalls erreicht, nämlich das Bündnis mit der FDP. Dennoch wolle sie eine Bundeskanzlerin für alle Deutschen bleiben, erklärte sie. Neben der geringen Wahlbeteiligung ist auch die immer geringer werdende Parteien-Bindung bemerkenswert. Offenbar hat sich ein Drittel der Wähler erst am Wahltag selbst entschieden, bei welcher Partei sie das Kreuzchen machen werden. Merkel wies darauf hin, dass es in Deutschland noch nie gelungen sei, aus einer großen Koalition heraus eine neue Regierung zu bilden. CDU-Veteran und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble betonte, dass es nun erstmals seit 1994 wieder eine bürgerliche Mehrheit gibt. Die bayrische Schwesterpartei CSU hat indessen ihr schlechtestes Ergebnis zu verkraften. Das wird wohl dazu führen, dass sich Parteichef Horst Seehofer gegenüber Merkel noch unbotmäßiger verhalten wird, um wieder mehr Profil zu gewinnen. 

Juncker: „Regierungswechselist kein katastrophaler Vorgang“
„Ein Regierungswechsel in einer gefestigten Demokratie ist kein katastrophaler Vorgang“, kommentierte der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker das Resultat der Bundestagswahlen in Deutschland.
Zufrieden zeigte sich Juncker über den Umstand, dass „jene Partei, die meiner Partei am nächsten steht“, weiter in der Regierungsverantwortung stehen wird. „Total überrascht“ hingegen sei er über das Abschneiden der SPD, der er immerhin einen Stimmenanteil von 30 Prozent zugedacht hätte.
Doch hätten im Allgemeinen die beiden großen Volksparteien in Deutschland verloren, was ein „besorgniserregender Vorgang“ sei.
Juncker führt dies auf die „harte Konkurrenz“ der drei Oppositionsparteien zurück, die sich auf wenige Themen fokussiert hätten: die FDP auf die Steuern, die Grünen auf die Energie und die Linken auf alles, was die Unzufriedenen an sie bindet. Die beiden Volksparteien hingegen hätten „mehr Befindlichkeiten bedienen“ müssen. Juncker hofft, dass die beiden großen Volksparteien in Zukunft nicht auch so handeln werden wie die drei kleineren Parteien.
Auf die Frage, ob es mit der FDP als Regierungspartner der Unionsparteien in Deutschland zu einem Sozialabbau kommen werde, meinte Juncker, dass auch die Politik der SPD seit 1998 bis heute kritisch betrachtet werden müsse. Deren Sozialgesetzgebung habe dazu beigetragen, dass die Linke Erfolge verbuche und sich die Arbeitnehmerschaft von der SPD abwende, so der luxemburgische Premierminister.
„Ich hoffe aber, dass die CDU an ihren Aussagen von vor der Wahl festhält und somit beispielsweise weiter auch am Kündigungsschutz festhält“, sagte Jean-Claude Juncker.

Asselborn: „Mehr auf die kleinen Leute achten“

„Es gibt Niederlagen, die so heftig kommen müssen, damit ein neuer Aufbau möglich ist“, sagte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn zum Ausgang der Wahlen in Deutschland. „Die SPD als Partei hat verloren, doch ihre Grundideen werden weiterhin gebraucht.“ Mit der SPD in der Opposition erwartet sich Jean Asselborn nun interessante Debatten im deutschen Bundestag.
Er sei froh, dass sein bisheriger Amtskollege und SPD-Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier den Fraktionsvorsitz der SPD übernehmen werde und geht davon aus, dass er bald auch den Parteivorsitz übernimmt, so der luxemburgische Außenminister weiter.
Der SPD bescheinigte er in der Vergangenheit wichtige Reformen, die anzupacken nicht populär war.
Sie müsse aber jetzt „mehr auf die kleinen Leute achten“. Und mit „Aussagen in Basta-Form“, wie sie bei den Diskussionen um die Rente mit 67 gebraucht wurden, würden die „Menschen das Vertrauen verlieren“, sagte Asselborn.
Er empfiehlt der SPD daher, sich ein Beispiel an der politischen Kultur Luxemburgs zu nehmen, wo Reformen mit den Sozialpartnern diskutiert würden.
Jean Asselborn geht davon aus, dass die SPD diesen „Durchhänger überbrücken“ und Frank-Walter Steinmeier weiterhin eine wichtige Rolle in der Partei spielen wird.
Was die Außenpolitik Deutschlands anbelange, glaubt der luxemburgische Außenminister, dass es zu keinen Änderungen kommen werde. Er freue sich auf die Zusammenarbeit mit dem neuen deutschen
Außenminister.gk