Kosovos mühsamer Weg

Kosovos mühsamer Weg

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo wurde bislang von 62 Staaten anerkannt. Allerdings nicht von Serbien, zu dem das Kosovo mit ausgedehnten autonomen Befugnissen im früheren Jugoslawien gehörte. Der weitere Weg des Kosovo wird mühsam bleiben./ Serge Kennerknecht

Die Straßen vom Flughafen Pristina hinein ins Zentrum der Stadt sind, wie alle anderen des rund 1.900 Kilometer langen Straßennetzes im Kosovo, ausgesprochen holprig und in eher rudimentärem Zustand. Allerdings ist jetzt ein erstes kleines Teilstück Autobahn dabei, noch ohne Markierungen, die jedoch eh kaum etwas am allgemeinen Fahrstil der Kosovaren ändern würden. Sicherheit auf den Straßen und Straßenverkehrsordnung sind keine Themen in einem Land, das über einen beachtlichen Fuhrpark verfügt. Stehen die Ampeln auf Rot, bleibt man allerdings stehen, so weit ist der Konsens gediehen.
Teure und schicke Autos sieht man hier allenthalben. Das überrascht, wenn man weiß, dass ein durchschnittlicher Lohn eines Polizisten z.B. bei ungefähr 200 Euro liegt, ein Lehrer 300 Euro und ein Richter zwischen 450 und 500 Euro verdienen. Die Renten sind niedrig, 70 bis 80 Euro im Schnitt, nach 45 Arbeitsjahren, sind keine Ausnahmen.
Aus eigenen finanziellen Mitteln kann ein solcher Fuhrpark wohl kaum herrühren.
Sicher, da ist die Diaspora, die Kosovaren, die im Ausland wohnen, etwa rund 550.000, davon das Gros in Deutschland (270.000) und in der Schweiz (160.000).
Sie haben im letzten Jahr laut Kosovo-Zentralbank rund 536 Millionen Euro in ihre jetzt unabhängige Heimat geschickt.
Wie sehr die Kosovaren von diesen Geldern abhängig sind, belegen auch die zahlreichen Häuser im Rohbau, die in Etappen gebaut zu werden scheinen, abhängig von Zuwendungen.
Während es an Investoren und an Industrie fehlt, gibt es im Kosovo inzwischen zahlreiche neue Geschäfte, zumeist in grellbunten Farben getüncht, adrett und sauber. Insgesamt hinterlässt das Ganze jedoch einen ziemlich chaotischen Eindruck in einem Land, das zu über 50 Prozent aus Ackerbaufläche und etwa 40 Prozent aus Wald besteht.

Korruption

Fuhrpark, Häuser- und Geschäftebau sowie vor allen Dingen der Straßenbau zeugen von einer Bauaktivität, die sich nicht unbedingt nur durch die zwei Milliarden Euro erklären lässt, die seit dem Ende des Kosovokrieges 1999 von internationaler Seite in das Land geflossen sind.
Weitere 1,2 Milliarden bis 2011 wurden übrigens im letzten Jahr auf einer Geberkonferenz in Brüssel beschlossen. Luxemburg sagte dort 30 Millionen Euro Hilfe zu.
Das Gesamtbild deutet auf etwas anderes hin. Auf die Korruption. Sie scheint im Kosovo allgegenwärtig. Große Bauherren sind oft mit bedeutenden Politikern verwandt oder verschwägert oder verfügen über eine eigene Partei und eine eigene Zeitung.
Neben der Korruption ist auch der Schmuggel ein Problem. Zigaretten und Benzin werden illegal ins Land gebracht, auch für Drogen, vor allen Dingen Heroin, gilt das Kosovo als Umschlagplatz, ebenso für Menschenhandel. All das in einem Land, in dem Strom- und Wasserversorgung regelmäßig ausfallen.

Eulex

Die Korruption in dem jungen Staat zu bekämpfen und beim Aufbau eines Rechtstaates helfend zur Seite zu stehen ist u.a. die Aufgabe der Eulex, der größten EU-Mission überhaupt, die im Februar 2008, nach der Unabhängigkeitserklärung von der Europäischen Union, ins Leben gerufen wurde.
Im Gegensatz zur Unmik, der Mission der Vereinten Nationen für das Kosovo („United Nations Mission in Kosovo“), die seit 1999 dort für die Verwaltung zuständig war und deren Image doch zahlreiche Abnutzungserscheinungen aufzeigt, sieht sich die Eulex als unpolitisch. Sie konzentriert sich auf den Aufbau von Zoll und Polizei, Justiz und Gefängniswesen.
Verlief die Zusammenarbeit mit der kosovarischen Regierung bislang ganz gut, geriet Eulex in den letzten Wochen doch in die Kritik. Hintergrund: ein Abkommen mit Serbien über den Austausch von Daten bei der Verbrechensbekämpfung. Die Regierung in Pristina sah hierin eine Verletzung ihrer Hoheitsrechte, da nur sie solche Abkommen zu unterzeichnen berechtigt wäre.Der Protest hinkt allerdings. Als die gleichen Abkommen mit anderen Nachbarn abgeschlossen wurden, gab es keinen Widerspruch. Für die Eulex-Verantwortlichen ein klares Indiz dafür, dass Serbien der Stein des Anstosses zu den Unmutsäusserungen der Kosovo-Regierung war. Andererseits jedoch ist klar, dass Serbien das Abkommen nie direkt zusammen mit der Regierung im Kosovo unterzeichnet hätte. 2.637 Mitarbeiter zählte die Eulex letzte Woche, darunter auch Beamte aus den EU-Ländern Spanien, Rumänien, Griechenland, Zypern und der Slowakei, die die Unabhängigkeit des Kosovo mit Blick auf eigene Minderheiten nicht anerkennen, dennoch beim Aufbau des Rechtswesens mitmachen.
Bis dieses Ziel erreicht ist, könnte es noch etwas dauern. Beim Zoll scheint man voranzukommen, bei der Aufstellung der Kosovo-Polizei ebenfalls. Im Justizbereich hingegen wird es wohl noch etwas länger dauern. Hier bleibe noch viel zu tun, mehr als man erwartet habe, hieß es.
Vielleicht erklärt dies den Umzug der Eulex in ein größeres Gebäude, obwohl das Mandat eigentlich bereits am 14. Juni im nächsten Jahr auslaufen soll.
Bislang war man in mehreren Gebäuden untergebracht, was die Arbeit sicher nicht erleichterte.

Historische Bindungen

Die Eulex ist auch zuständig für interethnische Probleme. Etwas über zwei Millionen Einwohner zählt das Kosovo. 130.000 davon sind Serben in dem multiethnischen Staat, in dem neben den mehrheitlichen Albanern auch Roma, Ashkali, Türken, Ägypter leben. 2,1 Millionen Einwohner auf einem Gebiet mit 10.877 Quadratkilometern, etwa viermal so groß wie Luxemburg, müssten doch eigentlich zurechtkommen. Dem jedoch steht Serbien gegenüber, das 1999 den von dort ausgegangenen Krieg auch im Kosovo verloren hat, nachdem die NATO den Traum von einem Großserbien 78 Tage lang zerbombt hatte.
Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an. Für Serbien ist das Kosovo serbisches Gebiet.
Ob die eigenständige Trennung des Kosovo durch Serbien rechtens war, wird übrigens vom nächsten 1. bis zum 11. Dezember vom internationalen Gerichtshof in Den Haag untersucht.
Nicht nur, dass Serbien das Kosovo nicht anerkennt: Serbien unterstützt auch die im Kosovo verbleibenden Serben, die in Enklaven auf dem Kosovo-Gebiet leben. Serbien sieht im Kosovo sein eigentliches Ursprungsland. „Kos“ heißt auf serbokroatisch Amsel (laut Wikipedia), ein Hinweis auf das Amselfeld bei Pristina. Dort haben die Serben im Jahre 1389 eine wichtige Schlacht gegen die Osmanen verloren. Dennoch sehen sie eben diese als die Geburtsstunde der serbischen Nation an. Einer der Gründe, warum der Turm, der hier zum Leidwesen mancher Kosovaren als Denkmal an die Schlacht erinnert, von KFOR-Truppen bewacht wird.
In Sichtweite übrigens des einzig noch funktionierenden Kohlewerks Kosovo B, dessen ungefilterte Rauchschwaden die ganze Gegend verpesten, dermaßen, dass, je woher der Wind kommt, die Menschen in Pristina Atemprobleme haben.
Hinzu kommt, dass einige der wichtigsten religiösen Gebäude der serbisch-orthodoxen Kirchen auf Kosovo-Gebiet liegen, wie z.B. das Kloster Visoki Decani.
Die serbischen Enklaven werden zum größten Teil von Serbien aus finanziert. Auch das große zusammenhängende Gebiet von etwa 2.500 Quadratmetern im Norden, oberhalb der Stadt Mitrovica.

KFOR-Schutztruppe

Für die Sicherheit der Albaner zuständig ist die KFOR (Kosovo-Force), eine NATO-Schutztruppe, die im Auftrag der Vereinten Nationen tätig ist. Bestand sie nach Kriegsende aus 50.000 Mann, wurde diese Zahl im Laufe der Jahre reduziert. Heute sind noch 12.631 Soldaten im Einsatz. Ab Februar 2010 werden es weniger.
Immer wieder müssen sie eingreifen, auch wenn die Auseinandersetzungen heute nur mehr selten mit Waffen zu tun haben. Anders als zuletzt im Jahre 2004, als es zu Übergriffen gegen die Serben im Kosovo und die KFOR-Truppen selber kam.
Die KFOR ist inzwischen sogenannter „3rd responder“, will sagen, dass zuerst Eulex und/oder Kosovo-Polizei eingreifen, ehe die KFOR ausrückt. Rund 7.000 Mann zählt die multi-ethnische Polizei des Kosovo derzeit. Sie haben nichts mit der „Kosovo-Security Force“, der KSF zu tun, die in Pristina ihren Hauptsitz hat. Die KSF wird von den Serben kritisiert. 2.500 Mann stark soll sie werden, mit 800 Reservisten. Ihr Aufgabenbereich ist offiziell der Katastrophenschutz und ähnliche Einsätze.
Serbiens Hinweis, dass es sich bei den KSF-Mitgliedern fast ausschließlich um frühere kosovarische Freiheitskämpfer der UCK handelt und man es damit eher mit dem Versuch zu tun habe, eine eigenständige kosovarische Armee auf die Beine zu stellen, kommt nicht von ungefähr.
Offizielle Gäste werden bei der KSF von einem uniformierten Truppenkordon begrüßt, der nicht etwa Spaten und Spitzhacke, sondern Gewehre in der Hand hält.
Aber von den Menschen wird die KSF akzeptiert. Zumeist auch von serbischer Seite, weil sie ihre Schutzfunktion unparteiisch wahrnimmt. Dennoch kommt es in dem direkt an Serbien grenzenden Norden immer wieder zu Spannungen.
Das Nordgebiet umfasst rund 2.800 Quadratkilometer. Dort wohnen etwa 250.000 Albaner und rund 47.000 Serben. Das Besondere daran ist, dass die Serben in den Nordgemeinden Leposavic, Zubin Potok und Zvetkan in der Mehrheit sind, ebenso im Norden der Stadt Mitrovica, wo es immer wieder zu Reibereien zwischen den Ethnien kommt.
66.000 Menschen wohnen im hauptsächlich von Albanern bewohnten Süden der durch den Fluss Ibar getrennten Stadt, 16.400 wohnen im serbisch dominierten Norden. Hinzu kommt, dass dies keine klare Trennung ist, sondern Serben auch im Süden und Albaner im Norden der Stadt wohnen, was natürlich zusätzliche potenzielle Reibungsfläche bewirkt.
Die Serben im Norden leben nach serbischem Recht, haben politische und andere, z.B. medizinische Parallelstrukturen eingerichtet und einen eigenen Bürgermeister für Nord-Mitrovica ernannt. Dies wird wiederum von den Kosovo-Albanern nicht anerkannt.
In diesem Umfeld ist jener Teil der KFOR-Truppen tätig, in dem auch 23 Luxemburger im Einsatz sind. Sie gehören der Aufklärungstruppe an, die Patrouillen fährt und Erkenntnisse sammelt und demnach direkt mit den Menschen in Verbindung steht. Immer wieder flammen hier Auseinandersetzungen auf, zuletzt weil die Serben in Nord-Mitrovica bemängelten, dass zurückkehrende Albaner mehr Häuser renovieren würden als abgemacht und weil es Probleme mit der Stromversorgung gab.
Die kosovarische Stromgesellschaft ist nämlich dabei, noch ausstehende Zahlungen einzutreiben. Dabei geht sie nicht gerade zimperlich und differenziert vor, sondern schaltet den Strom, wenn es sein muss, in ganzen Straßenzügen, radikal ab. Für die Kosovaren, ob Serben oder Albaner, ungewohnt. Im früheren Jugoslawien war der Strom kostenlos.

Serbische Wahllisten

Der Norden bildet auch die Ausnahme bei den anstehenden Kommunalwahlen vom 15. November. Im Norden wird erst im kommenden Mai gewählt.
Als Hauptgrund wird angegeben, dass die Schaffung von sechs serbischen Gemeinden, darunter eine eigene für Nord-Mitrovica, die laut dem Strukturierungsplan des früheren finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari dort entstehen sollen, noch nicht abgeschlossen ist.
Bei den Wahlen im Kosovo kandidieren übrigens 74 verschiedene Listen, 35 davon sind albanisch. Dass 23 serbisch sind, überrascht umso mehr, als Belgrad zu einem Wahlboykott aufgerufen hat. Ob dies ein erstes Zeichen von einer neuen Stabilität im Kosovo ist, bleibt abzuwarten.
Wenn Gewalt und Gewaltbereitschaft im Kosovo auch abgenommen haben, der weitere Weg des kleinen Landes ist mühsam, die Zukunft ungewiss.