EU-Krisengipfel in Brüssel: Mitgliedstaaten rücken enger zusammen

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Die Forderung Ungarns nach einem milliardenschweren Hilfsprogramm für Mittel- und Osteuropa ist gestern in Brüssel vom EU-Sondergipfel zurückgewiesen worden. Stattdessen einigten sich die Staats- und Regierungschefs darauf, diese Länder bei Bedarf von Fall zu Fall zu unterstützen./Von unsererKorrespondentinMarisandra Ozolins, Brüssel

Der ungarische Regierungschef Ferenc Gyurcsany hatte mit Blick auf die teils schwer angeschlagene Wirtschafts- und Finanzlage mehrerer mittel- und osteuropäischer Länder, darunter Ungarn selbst, vor einem „neuen Eisernen Vorhang“ in Europa gewarnt und ein spezielles Hilfspaket von 160 bis 190 Milliarden Euro für Mittel- und Osteuropa gefordert. Damit kam er jedoch bei seinen EU-Kollegen nicht durch.

Von Fall zu Fallbewerten

Es gebe „keine Sonderkategorie Osteuropa“, erklärte der tschechische Ministerpräsident und Ratsvorsitzende Mirek Topolanek im Anschluss an die rund dreistündigen Debatten. Die Situation sei von Land zu Land verschieden und müsse deshalb „von Fall zu Fall“ bewertet werden. Diese Analyse wurde namentlich auch von Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker geteilt, der sich mit Nachdruck dagegen wandte, „neue Trennlinien innerhalb der EU“ zu zeichnen.
Man dürfe West- und Osteuropa nicht in zwei Gruppen spalten, sagte Juncker. Osteuropa habe seit November 1989 (seit dem Fall der Berliner Mauer) „aufgehört, zu existieren“. Mit dieser „unheilvollen Nachkriegslogik“ müsse es ein Ende haben.
Die Länder Mittel- und Osteuropas hätten Juncker zufolge „unterschiedliche Probleme, die von Land zu Land angegangen“ werden müssten. Bei Bedarf gebe es dabei „eine Verpflichtung zur Solidarität“. Aber: „Ich lehne es kategorisch ab, diese Länder als ein Block zu betrachten“, unterstrich der Luxemburger, demzufolge dies auch „mit (deren) individuellen Würde unvereinbar“ wäre. Der ungarische Vorschlag sei bei etlichen Mitgliedstaaten, auch Mittel- und Osteuropas, die sich vor dem EU-Sondergipfel separat getroffen hatten, auf keinerlei Zustimmung gestoßen. „Ich begrüße das“, betonte Jean-Claude Juncker.
In einer gemeinsamen Presseerklärung kamen denn auch die Staats- und Regierungschefs überein, dass Europa die gegenwärtige Krise „nur durch ein konzertiertes und koordiniertes Handeln“ bewältigen könne. Sie unterstrichen auch die „Notwendigkeit einer makroökonomischen Stabilität in der gesamten EU“.
Der Ecofin-Rat wurde aufgefordert, in Zusammenarbeit mit der Kommission die Entwicklung der Lage zu prüfen und sich „auf alle verfügbaren Instrumente zu stützen“, um angeschlagene Länder zu unterstützen.
Das kürzlich von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Weltbank angekündigte Notpaket zur Unterstützung des Bank- und Wirtschaftssektors in den mittel- und osteuropäischen Ländern wurde in dieser Hinsicht begrüßt.

„Kein Protektionismus erwähnt“

Zuvor hatten bereits die EU und der Internationale Währungsfonds (IWF) Ungarn und Lettland mit Notkrediten unter die Arme gegriffen, um einen Staatsbankrott dieser Länder abzuwenden. Auf dem Berliner Gipfel vom vorletzten Sonntag hatten sich die größten europäischen Wirtschaftsländer außerdem dafür ausgesprochen, die Mittel des IWF für derartige Notfälle auf 500 Milliarden Dollar zu verdoppeln.
Der von Ungarn und Polen geforderte beschleunigte Beitritt zum Euro stieß hingegen auf Zurückhaltung beim gestrigen Sondergipfel. Es wäre „falsch, die Spielregeln jetzt zu ändern“, sagte Ratspräsident Topolanek. Außerdem könne man die Beitrittskriterien für den Euro „nicht über Nacht ändern“, meinte seinerseits Jean-Claude Juncker.
Beigelegt wurde offensichtlich auf dem Sondergipfel der seit Wochen schwelende Streit über Protektionismus, der mitunter zur Einberufung des Gipfels durch die Tschechische Republik geführt hatte. Gestern sei „kein Fall von Protektionismus erwähnt“ worden, betonte Mirek Topolanek, der sich noch vor drei Wochen sehr ungehalten über den französischen Hilfsplan für die heimische Autoindustrie geäußert hatte.
Frankreich hatte allerdings kürzlich der EU-Kommission zugesichert, dass es darauf verzichte, die Milliarden-Kredite für Peugeot/Citroën und Renault von Investitionen ausschließlich in Frankreich abhängig zu machen. Eine Zusicherung, die am Samstag von der Kommission mit Genugtuung zur Kenntnis genommen wurde.
In der gemeinsamen Presseerklärung betonten die Staats- und Regierungschefs zum Kapitel wirtschaftliche Wiederbelebung, dass der „Protektionismus keine Antwort auf die derzeitige Krise“ sei und dass man sich vielmehr auf den Binnenmarkt stützen solle, „als Motor für den Wiederaufschwung“ sowie für Wachstum und Beschäftigung.

Bankgeheimniskein Thema

Die Gipfelteilnehmer waren sich ebenfalls darüber einig, die negativen Auswirkungen der Krise auf die Beschäftigung zu bekämpfen, durch eine „maximale“ Anwendung der existierenden Instrumente wie den Europäischen Sozialfonds und den Globalisierungsfonds, „um die Arbeitsplatzverluste zu begrenzen“. Konkrete Maßnahmen sollen auf dem im Mai in Prag anberaumten Beschäftigungs-Sondergipfel getroffen werden. Darüber hinaus begrüßten die Staats- und Regierungschefs grundsätzlich sowohl die jüngsten Vorschläge der Kommission im Automobilsektor als im Umgang mit Risikoaktiva im Banksektor. Die von der Kommission in letzterer Hinsicht vorgeschlagenen Leitlinien gingen „in die richtige Richtung“, sagte Jean-Claude Juncker, demzufolge das größte Problem derzeit die Wiederherstellung der Kreditflüsse bleibe, ohne die die Konjunkturpakete nicht in der Lage sein würden, auf die Krise zu antworten.
Nicht zuletzt unterstrichen die EU-Verantwortlichen die Bedeutung eines gemeinsamen Vorgehens der Union auf internationaler Ebene, im Hinblick auf den G20-Gipfel Anfang April in London, „zur Wiederherstellung des Vertrauens der Unternehmen, der Bürger und des Finanzsektors. Die Frage, ob das Bankgeheimnis gestern ein Thema gewesen sei, verneinte Jean-Claude Juncker. Er stimme mit der EU überein, „dass die Steuerparadiese bekämpft“ werden sollten, fügte der Luxemburger Regierungschef und Finanzminister hinzu. Er teile jedoch nicht die Ansicht, „eine Gleichung zwischen Bankgeheimnis und Steuerparadies aufzustellen“.