Die allererste Bombe fiel auf Libyen

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Kürzlich hat Italien entschieden, sich an NATO-Luftschlägen gegen Libyen zu beteiligen. Da war es vor 100 Jahren schon einmal. Mit einer bemerkenswerten Premiere.

Wir schreiben das Jahr 1911. Das Osmanische Reich, das sich einst vom Balkan über die Türkei bis Nordafrika ausdehnte, liegt in den letzten Zügen. Ganz anders das junge, seit knapp 50 Jahren vereinigte Italien. Rom steht der Sinn nach Expansion. Wenn die Italiener über das Mittelmeer schauen, sehen sie in Nordafrika Territorien, die einst ihre mächtigen Vorfahren, die Römer, ihr Eigen nannten. So entscheidet sich die Regierung in Rom, die Schwäche der Türken in Nordafrika zu ihren Gunsten auszunutzen. Am 29. September 1911 erklärt Italien dem Osmanischen Reich den Krieg.

Italien verlegt tausende Soldaten, Matrosen und auch Piloten nach Nordafrika ins osmanische Tripolitanien und die Kyrenaika. Unter ihnen der junge Leutnant Giulio Gavotti, der schon bald Kriegsgeschichte schreiben sollte. Gavotti, der ursprünglich als Techniker zur Armee kam, ist zu diesem Zeitpunkt einer der ersten Piloten der italienischen Streitkräfte. Sein Auftrag: Mehrere Flugzeuge auf ein Schiff zu verladen und damit nach Nordafrika zu fahren. Gavotti geht davon aus, dass er mit seinem Flugzeug reine Aufklärungsmissionen fliegen wird. Doch als er zwei Kisten mit Bomben mit auf den Weg nach Nordafrika bekommt, realisiert er, dass mehr von ihm erwartet wird.

Zwei Kisten mit Bomben

Er schreibt seinem Vater aus Neapel einen Brief, in dem er von seinem Auftrag erzählt. Gemäss BBC World Service, dem der Brief vorliegt, gibt Gavotti darin seinem Erstaunen über die Bombenkisten Ausdruck: „Es ist sehr seltsam, dass keiner von uns darüber unterrichtet wurde und wir keine Instruktionen von unseren Vorgesetzten erhalten haben.“ Er telegrafiert nach Rom und erhält die Antwort, dass sich die Instruktionen in den Kisten befänden. „Es wird erwartet, dass wir die Bomben aus unseren Flugzeugen abwerfen“, so Gavotti weiter.

Das war neu. Noch nie zuvor hat jemand in der kurzen Geschichte der Motorfliegerei ein solches Unterfangen gewagt. Der erste Flug der Gebrüder Wright lag gerade einmal 8 Jahre zurück. Doch Gavotti lässt sich davon nicht einschüchtern. „Es wird sehr spannend sein, die Bomben an den Türken auszuprobieren“, schreibt er seinem Vater. Trotzdem geht er mit der gebotenen Vorsicht an die Aufgabe heran: „Neben dem Sitz habe ich einen gepolsterten Lederkoffer angebracht. Sehr vorsichtig habe ich die Bomben hineingelegt. Es sind kleine runde Bomben, jede ungefähr eineinhalb Kilo schwer. Drei habe ich in den Koffer getan und eine in meine Jackentasche.“

Am 1. November 1911 hebt Gavotti in seiner „Etrich Taube“, einem klapprigen Apparat aus Sperrholz, Draht und Stoff, zum ersten Luftschlag der Geschichte ab. In einem weiteren Bericht schildert er seine Gefühle: „Glücklich hebe ich ab. Ich fliege aufs Meer hinaus und als ich eine Höhe von 700 Metern erreicht habe, drehe ich landeinwärts ab. Ich fliege über unsere Frontlinie und weiter in die Wüste hinein Richtung Ain Zara.“ Ain Zara ist eine kleine Oase mit mehreren Camps arabischer Krieger, die auf der Seite der Osmanen gegen die neuen Eindringlinge kämpfen.

Eine kleine schwarze Wolke

Als sich der italienische Pilot der Oase nähert, bereitet er sich auf die anstehende Bombardierung vor. „Mit einer Hand halte ich das Steuer, mit der anderen nehme ich eine Bombe heraus und lege sie auf meinen Schoss. Dann mache ich einen Handwechsel. Ich führe den Zünder in die Bombe ein und prüfe, was unter mir vor sich geht. Ich bin bereit. Die Oase ist ungefähr einen Kilometer entfernt. Ich sehe die Zelte der Araber deutlich.“ Der große Moment ist gekommen.

„Ich nehme die Bombe in meine rechte Hand und entferne die Sicherung und werfe die Bombe am Flügel vorbei ab. Ich kann sie noch einige Sekunden fallen sehen und dann verschwindet sie. Und dann, nach einer kurzen Weile, kann ich eine kleine schwarze Wolke sehen in der Mitte des Camps. Ich hatte Glück. Ich habe mein Ziel getroffen!“ Gavotti warf danach noch zwei weitere Bomben über Ain Zara ab, mit weniger Erfolg, wie er schreibt. Eine Bombe bleibt ihm. Er entscheidet sich, die Bombe später über einer Oase nahe Tripolis abzuwerfen.

Gutes Resultat

Gavotti ist sichtlich stolz auf das Erreichte. „Als ich zurückkomme, bin ich sehr zufrieden mit dem Resultat“, schreibt er an seinen Vater. Nach seiner Rückkehr geht der Pilot sofort zu General Caneva und berichtet von seiner erfolgreichen Mission. Die Nachricht über den ersten Luftschlag verbreitet sich in Italien wie ein Lauffeuer. Die Zeitungen überschlagen sich mit heldenhaften Berichten. Da es noch kein Wort für einen Bomberpiloten gibt, betitelt ihn die „Gazzetta del Popolo“ als „fliegenden Artilleristen“ und freut sich über die neue Art des Tötens.

Leutnant Giulio Gavottis Luftschlag mag wenig bis gar keine Opfer gefordert haben. Doch er zeigte auf, was der Welt bevorstand. Er bewies, dass Bombenangriffe aus Flugzeugen möglich sind. Von da war es nur noch ein kurzer Weg bis Guernica, Dresden und Hiroshima.