Deutschland: Darmstädter Kinderpornografie-Prozess geplatzt

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Der bisher wohl größte Kinderpornografie-Prozess in Deutschland ist geplatzt.

Der Vorsitzende Richter am Darmstädter Landgericht, Jens Aßling, seufzt fast unhörbar angesichts der erhobenen Hände aus den Reihen der Verteidiger. Er hat den Beschluss noch gar nicht verkündet, da beantragen zwei Anwälte bereits Haftverschonung für ihre Mandanten. Bis die insgesamt neun Männer wieder vor Gericht erscheinen müssen, sind es noch zwei Wochen hin.

Das vergangene Woche eröffnete Verfahren beginnt dann von vorn. Die Angeklagten aus dem ganzen Bundesgebiet sollen von 2006 bis 2009 einer Bande angehört haben, die in abgeschotteten Chatrooms massenhaft Bildmaterial mit Missbrauchsszenen mit Säuglingen und Kindern anbot. Zwei Angeklagten wird überdies dutzendfacher Kindesmissbrauch vorgeworfen.

Was in den bisher vier Prozessterminen zur Sprache kam und in Geständnissen berichtet wurde, ließ eine Schöffin nicht mehr unbefangen bleiben.

Geständnisse helfen Schöffin nicht weiter

Das Geschehen, das den Prozess nun zum Platzen brachte, nahm am Tag nach der Anklageverlesung seinen Anfang. Die „Bild“-Zeitung veröffentlichte Fotos mit den unverhüllten Gesichtern aller Angeklagten. Sein Mandant sei dadurch im Gefängnis Repressalien ausgesetzt, teilte der Verteidiger des 44-jährigen Roger H. aus Mönchengladbach dem Gericht am Dienstag mit. Der Anwalt beantragte Haftverschonung.

Es war bei diesem Rechtsgespräch hinter verschlossenen Türen, in dem die Schöffin sagte, was sie nicht hätte sagen dürfen: „Wo sind wir denn hier?“, fragte sie. Und antwortete selbst: „In einem Pädophilenprozess. Die haben Straftaten begangen.“ Es half ihr letztlich nicht, dass auch der am meisten belastete Angeklagte, ein 57-Jähriger aus Wald-Michelbach im Odenwald, die ihm vorgeworfenen Missbrauchstaten bereits gestanden und alle anderen Männer ausnahmslos Geständnisse angekündigt hatten. Der Anwalt des Mönchengladbachers stellte einen Befangenheitsantrag, weil er die Schöffin nicht mehr für unvoreingenommen hielt. „Der Antrag ist begründet“, sagte Richter Aßling am Mittwoch. Er versicherte sich der Unterstützung aller Beteiligten hinsichtlich neuer Ladungstermine und setzte den Neubeginn des Verfahrens mit einem anderen Schöffen auf den 30. September fest.

Verfahren hätte vom Bundesgerichtshof zu leicht gekippt werden können

Der antragstellende Verteidiger und ein weiterer Anwaltskollege wollen nun Haftverschonung für ihre Mandanten erreichen. Sechs der neun Angeklagten sitzen seit einem Jahr in U-Haft. Das zu erwartende Strafmaß rechtfertige den weiteren Gefängnisaufenthalt nicht mehr, argumentieren die Anwälte. Generalstaatsanwalt Andreas May, einer der beiden Ankläger im Verfahren, sieht das anders.

„Es drohen mehrjährige Haftstrafen“, sagte May am Mittwoch, „und es besteht weiter Fluchtgefahr.“ Die Äußerungen der Schöffin beurteilt auch der Staatsanwalt kritisch. „Diese Revisionslaus konnte sich das Gericht nicht in den Pelz setzen“, sagt May. Das Verfahren hätte vom Bundesgerichtshof zu leicht gekippt werden können und hätte dann mit größerem Aufwand neu aufgerollt werden müssen. Sein Staatsanwaltkollege Rainer Franosch kommentiert das Vorgehen der „Bild“-Zeitung ungehalten. „Wer für scharfe Strafen für Sexualtäter ist, sollte ihnen keinen Strafnachlass verschaffen.“ Eine unzumutbare Darstellung in den Medien könne einem Verurteilten ein halbes Jahr Haft ersparen, sagt Franosch.

dapd