Das gefährliche Spiel mit den Lebensmitteln

Das gefährliche Spiel mit den Lebensmitteln

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Heute Aktien oder Anleihen, morgen Gold oder Öl, übermorgen vielleicht Getreide oder Soja? Längst haben Investoren Lebensmittel als Spekulationsobjekt entdeckt - mit möglicherweise schlimmen Folgen.

Rasante Preisanstiege bei Sojabohnen und Mais haben die Debatte um Spekulation mit Agrarrohstoffen wieder entfacht. Extreme Wetterbedingungen, eine wachsende Weltbevölkerung und zunehmende Nachfrage aus den immer kaufkräftigeren Schwellenländern – der Boden für ein verknapptes Nahrungsmittelangebot scheint ohnehin bereitet. Als Reaktion auf die Schuldenkrise pumpen Zentralbanken nun auch noch riesige Summen von Geld in die Finanzmärkte und laden Banken und Fonds damit zum Zocken ein. Kommt die Welternährungskrise zurück?

Viele Investoren kaufen Agrarrohstoffe wie Weizen oder Mais an den Börsen nicht direkt. Sie entscheiden sich für Anlageprodukte, die lediglich der Preisentwicklung folgen. Trend: steigend.
Diese Derivate (lat. derivare, ableiten) beziehen sich zwar auf einen Basiswert wie etwa ein Lebensmittel, können aber unerwünschte Kursentwicklungen abfedern. Besonders gefragt sind derzeit Derivate wie Exchange Traded Commodities (ETCs) und Exchange Traded Funds (ETFs). Darüber investieren Anleger in einen Index, also einen Korb, der Rohstoffwerte umfasst.
Durch den anhaltenden Erfolgszug dieser Indexprodukte ist in den vergangenen Jahren viel Geld an die Rohstoffmärkte geflossen, was die Kursentwicklungen beeinflussen kann. Es ist also möglich, dass die Spekulationen die Nahrungsmittelpreise in die Höhe treiben und damit eine Mitschuld an den Hungersnöten in armen Ländern tragen. Manche Produktanbieter denken deswegen auf einen Verzicht von solchen Anlagen nach. (dpa)

„Sie war nie fort“, sagt Ralf Südhoff, Deutschland-Chef des UN World Food Programme (WFP). Der globale Index für Nahrungsmittelpreise der Welternährungsorganisation (FAO) scheint ihm Recht zu geben: Obwohl das Barometer seit seinen Rekordständen Mitte vergangenen Jahres wieder gesunken ist, liegt es mit 214 Punkten weiter über dem Höchstwert der Ernährungskrise 2008. Damals, kurz vor dem Beinahe-Kollaps des Finanzsystems im Zuge der Lehman-Pleite, hatten die hohen Lebensmittelpreise weltweit für Unruhen gesorgt.

Rohstoffe werden teuerer

Sojabohnen kosteten in der vergangenen Woche so viel wie seit vier Jahren nicht mehr und Rohstoffhändler rechnen mit weiterem Preisauftrieb. Soja landet zumeist nicht als Tofu-Schnitzel auf dem Teller. Denn ein Großteil der Bohnen (90 bis 95 Prozent) wird gepresst und so zu Sojamehl und Sojaöl verarbeitet. Das Öl kann als Salat- und Kochöl oder als Biosprit verwendet werden. Mittlerweile verbraucht die Treibstoffindustrie 17 Prozent der weltweiten Sojaproduktion. Das Soja-Mehl wird vor allem an Geflügel, Rinder und Schweine verfüttert. Nur aus wenigen Bohnen entstehen Nahrungsmittel, also zum Beispiel Sojasauce, Tofu oder Sojamilch. Eine Ausnahme bilden einige asiatische Länder wie China, Japan und Indonesien, wo 60 Prozent der Sojabohnen direkt in die Nahrungsmittelindustrie wandern.

Auch Mais hat sich zuletzt deutlich verteuert. Auch wenn bei Lebensmitteln derzeit keine Preisrallye auf breiter Front zu erkennen ist: Beide Agrarrohstoffe sind weltweit Grundnahrungsmittel – eine Preisexplosion könnte dramatische Konsequenzen haben.

Weltbevölkerung wächst

„Hohe Nahrungsmittelpreise sind besonders für arme Länder problematisch, die einen Großteil ihrer Nahrungsmittel importieren, wie die große Mehrheit der afrikanischen Staaten“, erklärt WFP-Experte Südhoff. Erhöhten sich die Einfuhrpreise, werde es für diese Länder schwieriger, ihre Bevölkerung zu ernähren. „Viele Haushalte in Entwicklungsländern geben ohnehin 60 bis 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus.“

Worin liegen die Ursachen für die steigenden Preise? Die Weltbevölkerung wächst: Laut Daten des UN-Bevölkerungsfonds kommen zu den rund sieben Milliarden jede Sekunde 2,6 Menschen hinzu. Etwa eine Milliarde Menschen hungern. Und vor allem in den rasch wachsenden Schwellenländern, allen voran China, nimmt die Nachfrage nach Nahrungsmitteln stark zu. Ein weiterer Grund liegt in den extremen Wetterbedingungen, die nach Einschätzung des WFP in den kommenden Jahren verstärkt auftreten werden.

Lebensmittel = Renditeobjekte

Zu den Zutaten der Ernährungskrise 2008 zählten Wetterdesaster und Ernteausfälle weltweit. Auch für die jüngsten Preisanstiege machen Experten unter anderem einen Rückgang der globalen Produktion aufgrund von Dürre in Lateinamerika verantwortlich. Doch auch Finanzspekulanten dürften ihre Finger im Spiel haben. Und die haben zuletzt jede Menge neues Spielgeld von den Zentralbanken erhalten.

Agrarrohstoffe – und damit Lebensmittel – sind längst Renditeobjekte. Einer großangelegten Studie („Die Hungermacher“) der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch zufolge sind Finanzriesen wie die Deutsche Bank oder Goldman Sachs dick im Geschäft. So funktioniert es: Seit eh und je sichern sich Produzenten und Agrarhändler gegen Preisschwankungen ab, indem sie frühzeitig Verträge über zukünftige Warenlieferungen vereinbaren. Diese sogenannten Futures werden an den internationalen Warenterminbörsen gehandelt.

Keine Planungssicherheit mehr

Was der Branche Planungssicherheit verschafft, kann von Anlegern, die kein Interesse an der Lieferung der Waren haben, genutzt werden, um auf steigende oder sinkende Preise zu wetten. Zwar gilt ein gewisses Maß an Spekulation als erwünscht, da es die Märkte liquide hält, also stabilisiert. Doch seitdem Banken und Hedgefonds mit allen möglichen komplexen Finanzkonstrukten und hohen Fremdkapitalhebeln mit Rohstoffen zocken, ist das Maß aus Sicht vieler Beobachter voll. Laut Foodwatch-Angaben hat sich das Kapital an den Terminmärkten seit dem Jahr 2000, als die Politik diese Börsen für Investoren geöffnet hat, von 15 Milliarden auf 600 Milliarden Dollar erhöht.

„Es gibt volkswirtschaftlich gesehen absolut überhaupt keinen Grund, warum man Investoren erlaubt, Lebensmittel aus dem Markt zu nehmen und zu horten, nur um von Preissteigerungen zu profitieren“, sagt der als Mr. Dax bekannte Börsenmakler Dirk Müller. Kritiker wie Foodwatch und Müller haben bislang jedoch einen schweren Stand gegen die Lobby der Investmentbranche und die Zockerei könnte erst richtig in Fahrt kommen.

Denn dank der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) quillt der Finanzsektor vor überschüssiger Liquidität über. Die EZB hat die Banken im Euroraum für drei Jahre mit Billigkrediten über eine Billion Euro versorgt und ein Teil dieses Geldes wird sich seinen Weg an die Rohstoffmärkte bahnen, da sind sich Experten wie Börsenprofi Müller sicher.