China propagiert Klasse statt Masse

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In den vergangen Jahren war es ein Reflex in China: Auf schwaches Wirtschaftswachstum folgten Konjunkturspritzen. Nun hält sich die Führung trotz mäßiger Zahlen zurück. Ein Wandel, der seit Jahren versprochen wird.

Chinas Führung hatte die Finanzmärkte vorgewarnt – auf ihre eigene Weise. Erst meldete sich Regierungschef Li Keqiang wenige Tage vor Bekanntgabe der neuen Wirtschaftsdaten zu Wort und beschwichtigte: „Die wichtigsten Indikatoren bewegen sich noch immer in vernünftigen Grenzen.“ Anschließend sagte Finanzminister Lou Jiwei: „Trotz der sinkenden Wachstumsraten zahlen sich die Strukturreformen aus.“ Nun sind die Zahlen da – und mit 7,5 Prozent Wachstum im zweiten Quartal sind sie vergleichsweise schwach ausgefallen.

Die geballte Beschwichtigung macht eines sehr deutlich: Die Lage ist angespannt. Denn unter normalen Umständen äußern sich die politischen Führer nur selten vor solchen Ereignissen. Aber nun scheinen Chinas höchste Funktionäre tatsächlich mit einer neuen Wirtschaftspolitik zu liebäugeln. „Derzeit setzt die Regierung keine Konjunkturprogramme ein“, sagt Wirtschaftsprofessor He Xiaoyu von der Zentralen Hochschule für Wirtschaft und Finanzen in Peking. In der Vergangenheit reagierten die Spitzenpolitiker fast reflexartig auf ein schwächelndes Wachstum mit milliardenschweren Konjunkturspritzen.

Kapital wird falsch verteilt

Die Politik der massiven staatlichen Förderprogramme – etwa für den Ausbau von Straßen, Eisenbahnen und Flughäfen – stößt inzwischen an ihre Grenzen. „Die wirkliche Schwäche der Wirtschaft bleibt die kontinuierliche falsche Verteilung von Kapital in Infrastruktur und andere Projekte, die wenig Aussicht auf Rentabilität haben“, klagt Wirtschaftsjournalist Jake Van Der Kamp in der Hongkonger Zeitung „South China Morning Post“. Vieles sei bereits erneuert worden. Da bringe noch mehr Geld nur wenig Nutzen.

Die Zentralbank hat dem Geldmarkt Liquidität entzogen. Vermutlich will die Regierung damit einer Investitionsblase entgegenwirken. Für das weitere Wachstum verheißt das zunächst jedoch nichts Gutes, auch wenn die Ökonomen China noch nicht am Rand einer Immobilienblase wie in den USA vor einigen Jahren sehen.

Reformen sollen kommen

Schon vor Jahren hatten Chinas Staatslenker mehr Klasse statt Masse als Slogan für die Wirtschaftsentwicklung ausgegeben. Unter der neuen Führung von Staats- und Parteichef Xi Jinping deutet sich aber auch eine konkretere Politik an. Statistikamt-Sprecher Sheng Laiyun machte bei der Präsentation der aktuellen Konjunkturzahlen deutlich: „Die neue Regierung konzentriert sich seit diesem Jahr besonders auf die Strukturreform. Dabei geht es darum, das Wachstum zu stabilisieren, die Struktur anzupassen und Reformen voranzutreiben.“

China will weg von der Abhängigkeit vom Export und angesichts steigender Löhne die Binnennachfrage ankurbeln. Dazu will das Land auf lange Sicht nicht mehr Werkbank der Welt sein, sondern stattdessen die eigenen Dienstleistungsbranchen ausbauen. Der genaue Weg des Wandels ist aber noch umstritten. Ökonom Huang Weiping von der Volksuniversität in Peking meint: „Die Inhalte der Politik werden noch diskutiert. Sie haben noch keine gemeinsame Idee gefunden.“ Aber er gibt sich zuversichtlich, dass Chinas Staatslenker bis Ende des Jahres wissen, welche Entwicklungen sie umsetzen wollen.

Die Herausforderungen sind immens und reichen von zunehmender Umweltverschmutzung bis zu hohen Schulden der lokalen Regierungen. Von einer Lösung scheint das Riesenreich aber noch weit entfernt zu sein. Vizefinanzminister Zhu Guangyao gab laut einem Bericht des „Wall Street Journal“ kürzlich vor Journalisten unverblümt zu, dass die Zentralregierung schlicht nicht weiß, wie hoch die lokalen Regierungen genau verschuldet sind. Peking ist aber klar, dass die wachsenden Schulden die gesamte Wirtschaft in Gefahr bringen könnten.