„Breiviks Erklärung“ in Weimar

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Dieses Projekt des Schweizer Autors und Regisseurs Milo Rau hat schon vorab Diskussionen ausgelöst: Eine junge Frau verliest in Weimar die Rechtfertigung eines Massenmörders.

Anders Behring Breivik hat ein Podium in Weimar bekommen – aber wohl keines, dass sich der norwegische Massenmörder gewünscht hätte. Die deutsch-türkische Schauspielerin Sascha O. Soydan verlas im Lichthaus-Kino die Rede, mit der Breivik vor dem Osloer Gericht seine 77 Morde rechtfertigen wollte.

Die vorherrschende Meinung in der anschließenden Diskussion: Man muss sich mit Breiviks kruden Ideen über Multikulturalismus, Kulturmarxismus, nordisches Urvolk und die angebliche Islamisierung Europas auseinandersetzen, um dagegen angehen zu können.

„‚Breiviks Erklärung‘ zeigt, dass es nicht um einen durchgeknallten Menschen geht“, sagt der Sozialpsychologe Harald Welzer. Breivik habe sich Theorien und Studien bedient, um seine Taten zu begründen. „Im Normalfall setzen wir uns nicht mit den Texten auseinander, sondern machen uns ein Bild davon. Aber wenn ich nicht weiß, wie sie denken, kann ich nicht aktiv werden.“

„Bin nicht Breivik“

Für die Schauspielerin Soydan ist die Sache eindeutig – und auch wieder nicht: „Ich bin nicht Breivik. Ich lese seinen Text. Dazu brauche ich eine Distanz, aber ich versuche zu denken wie er“, sagt sie. Solche Texte gehörten zu einer politischen Auseinandersetzung.

Die junge Frau mit den langen, schwarzgelockten Haaren steht an einem Pult und liest Seite um Seite die Rechtfertigungen Breiviks. Die Tötung der zumeist jungen Leute, heißt es dort, sei ein Präventivschlag, sei Notwehr gewesen, kein Verbrechen: „Das waren keine Kinder, das waren politische Akteure.“ In wenigen Jahren hätten sie Verantwortung für Norwegen, für Europa übernommen.

„Er würde es wieder tun“

Er würde es wieder tun, sagt Soydan in den Worten Breiviks, der sich auf eine Stufe mit dem aus Jena stammenden rechtsextremen Terrortrio NSU mit Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt stellt. Die hätten auch Verantwortung übernommen, bekommen die beklommen lauschenden Gäste zu hören.

Es ist eine einfache Lesung und doch inszeniert. Der Schweizer Autor und Regisseur Milo Rau wollte keine Ähnlichkeit zu Breivik herstellen. Deshalb liest eine junge Frau, die auch wegen ihrer Herkunft all das verkörpert, was der norwegische Attentäter hasst.

Plumpe Rechtfertigungen

Vieles in der Rechtfertigungsrede ist plump, er wirft mit Schlagwörtern nur so um sich und wiederholt sich ständig. Aber gerade dies – und die Mimik und Pausen von Soydan hätten es ihr erleichtert, den verworrenen Gedankengängen des Anders Behring Breivik zu folgen, gesteht eine ältere Besucherin.

„Breiviks Erklärung“ ist Teil des Großprojekts „Die Moskauer Prozesse“, das Milo Rau am Freitag in Weimar begonnen hat. Bis Juni 2013 führt es ihn noch nach Moskau und Bern.

Das Deutsche Nationaltheater hatte sich von der Lesung aus dem gemeinsamen Projekt „Power and Dissent“ mit Rau und dem von ihm gegründeten International Institute of Political Murder (IIPM) distanziert. Es wollte Breivik keine öffentliche Bühne geben. Rau verlegte daraufhin die Lesung in das privat betriebene Kino. Für ihn sind Breiviks Rechtfertigungen gängiges rechtes Gedankengut. Das Gefährliche daran: Viele teilten diese Ideologie.