Blairs Stern sinkt, Juncker könnte Nutznießer sein

Blairs Stern sinkt, Juncker könnte Nutznießer sein

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Schon vor dem Referendum über den EU-Reformvertrag in Irland wurde Tony Blair von der internationalen Presse auf den Posten des ständigen Ratsvorsitzes hochgejubelt. Seit am vergangenen Wochenende die Signale aus Paris sich gegen eine Kandidatur Blair wenden, scheint Premierminister Jean-Claude Juncker neuer Favorit zu werden.

„’President‘ Blair wartet auf die Entscheidung der irischen Wähler“, schrieb die Times aus London am 2. Oktober. Damals schrieb die Tageszeitung über Juncker, er würde Europas Puls nicht zum Rasen bringen. Blairs Stern hingegen sei am Steigen.
„Blair, Juncker oder wer?“ fragte sich der Tagesspiegel aus Berlin am 6. Oktober. Im „Rennen um den Posten des EU-Präsidenten“ sehe Charles Grant, Direktor des Londoner Thinktanks „Centre of European Reform“, Blair als klaren Favoriten. „Eine EU mit Juncker an der Spitze“ würde laut Grant „von den Menschen in anderen Weltgegenden nicht ernst genommen.“
Die Wirtschaftszeitung L’Écho aus Brüssel meldete am selben Tag: „Le prédécesseur de Gordon Brown est pour l’instant donné favori: malgré sa participation au conflict contre l’Irak, et en dépit d’un maigre bilan comme envoyé spécial au Proche-Orient, il semble jusqu’ici le seul candidat en lice. Deux autres noms circulent pourtant également: ceux des premiers ministres luxembourgeois Jean-Claude Juncker et néerlandais Jan-Peter Balkenende.“
Klar für Blair positionierte sich an diesem Tag die Financial Times: „Mr Blair’s strong card is that he is an articulate firm-willed and experienced politician well known around the globe.“
Am 7. Oktober bemerkte der allzeit gut informierte Brüsseler Journalist Jean Quatremer auf seinem Blog auf Liberation.fr: „… derrière la bataille des personnalités, c’est la guerre de l’équilibre institutionnel qui se joue: une Europe définitivement soumise au Conseil européen ou le maintien de l’équilibre actuel, au moins pour quelques temps … Cet affrontement feutré pourrait au final faire le jeu de Jean-Claude Juncker: premier ministre de l’un des plus petits pays de l’Union, il est aussi une forte personnalité dont l’engagement communautaire est sans tâche.“
Denn inzwischen hatten die Benelux-Staaten zum Gegenangriff geblasen. Der Rheinische Merkur, dessen Herausgeber u. a. auch Jean-Claude Juncker ist, bemerkte am 8. Oktober, dass dieser bereits Bedenken zu einer Blair-Kanditatur angemeldet hatte: „Der dienstälteste Regierungschef wies darauf hin, dass es bei der Schaffung des Postens ein informelles Einverständnis gegeben habe, dass der erste EU-Ratspräsident nicht aus einem großen Land kommen sollte.“
The Economist aus London meldete am 9. Oktober: „To a striking degree, the race for EU president is a contest between Tony Blair and everyone else. There are many reasons to expect the British former prime minister to fail. His name has been in the headlines for weeks, and front runners rarely secure euro-jobs in the end … Federalists dream of Jean-Claude Juncker, a chain-smoking Euro-fanatic who leads both tiny Luxembourg and the Eurogroup of finance ministers from the euro area.“
Die Presse aus Wien bekannte: „Eine Alternative wäre der erfahrenste Regierungschef im EU-Kreis, der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker.“
Woraufhin die Blair-Befürworter sich wieder zu Worte meldeten, u.a. Jochen Bittner von der Zeit aus Hamburg: „Endlich scheint der Lissabon-Reformvertrag Wirklichkeit zu werden, da zuckt die EU davor zurück, den neu entstehenden Posten des permanenten Ratspräsidenten mit eben dem Mann zu besetzen, der dafür das wahrlich passende Gewicht besäße: Tony Blair.“ Laut Bittner gelte der „Luxemburger Ministerpräsident Jean-Claude Juncker (…) als aussichtsreichster Gegenkandidat.“
Die englischen Buchmacher begannen derweil, Wetten für den Posten des Ratspräsidenten aufzunehmen, wie der Guardian aus London am 12. Oktober berichtete: „Tony Blair is the bookies’ favourite to become EU president. The odds are: 4/6 Tony Blair, former British prime minister. 4/1 Jan Peter Balkenende, Dutch prime minister. 11/2 Jean-Claude Juncker, prime minister of Luxembourg.“
Am 15. Oktober mokierte sich die Times – nicht gerade ein Befürworter von Blairs Kandidatur – über die Unterstützungsbekundung von Silvio Berlusconi an den ehemaligen britischen Premier: „Viva Tony: Berlusconi supports holiday guest Blair as the president of Europe.“
Australiens The Sydney Morning Herald sah darin schon bereits den Todeskuss für Tony Blair: „Silvio Berlusconi, seemingly oblivious to the possibility that his support might be counterproductive, has enthusiastically backed Tony Blair for first president of Europe.“
Am 17. Oktober dann meldete die Times: „Tony Blair’s chances of becoming Europe’s first president have suffered a setback as his critics begin to build their case against him. Poland is preparing to publish a paper calling for the role of president to be limited. In addition, this week the french president appeared to distance himself from Mr Blair.“
In einer Analyse des Nachrichtenmagazins Der Spiegel kann man diese Woche lesen: Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz, „wünscht sich einen Ratspräsidenten, ‚der sich eher zurücknimmt‘, eine Art Geschäftsführer. Dafür käme der Ministerpräsident eines kleinen EU-Landes in Frage, zum Beispiel der Luxemburger Jean-Claude Juncker.“