/ Arm und ausgegrenzt

(dpa)
Im Jahr 2005 riefen zwölf europäische Regierungen in einer Erklärung das „Jahrzehnt der Roma“ aus. Sie nahmen sich damals vor, die Lebensbedingungen dieser geschudenen Minderheit zu verbessern. Doch die Realität auf der Balkanhalbinsel ist ernüchternd: Die Lage ist bis heute überall hoffnungslos. Beispiel Rumänien: In den vergangenen zwei Jahrzehnten habe sich an der beklagenswerten Situation der Roma so gut wie nichts geändert, sagt Experte Vasile Ionescu.
Nach Schätzung der Weltbank sind von den 19 Millionen Einwohnern des EU-Landes rund drei Millionen Roma. Beim Blick auf deren Zukunft zeigt sich Ionescu, der selbst der Minderheit angehört, wenig optimistisch: „Ohne konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, vor allem zum Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung, werden die Roma gezwungen sein, Rumänien zu verlassen“, prophezeit er.
„Karton-Städten“
Weiter westlich in Serbien wird die Zahl der Roma auf eine halbe Million geschätzt. Genaue Daten gibt es nicht. Die große Mehrheit der Roma hat keine Personalpapiere, keine Adresse, keinen Zugang zum Arzt und keinen Schulzugang. Allein in der Hauptstadt Belgrad hausen die Großfamilien in bis zu 150 sogenannten „Karton-Städten“, wie die Zeitung „Novosti“ schätzt. Sie leben dort ohne Wasser und Kanalisation auf Müllbergen gemeinsam mit „Ratten so groß wie Katzen“. Fast niemand hat Arbeit.
Ihren „Lebensunterhalt“ verdienen sie sich, indem sie Müll sammeln oder betteln. Die serbische Mehrheitsbevölkerung ist überzeugt, dass die Kriminalitätsrate unter den Roma hoch ist. Also wird die Minderheit ausgegrenzt – wie überhaupt die Mehrheitsbevölkerung in allen Balkanländern den Roma mit Verachtung begegnet. In Belgrad gab es wiederholt Demonstrationen von Bürgern gegen die Ansiedlung von Roma in Containern in ihrer Nähe, weil sie dadurch einen „Wertverfall unserer Eigentumswohnungen“ befürchteten.
Kinder-Handel
Zwei Drittel der rumänischen Roma wohnen isoliert, in eigenen Stadtteilen oder in armseligen Hüttendörfern an den Stadträndern. Manche sprechen von Gettos. Besonders krass ist die Lage in Tarlungeni bei Brasov und im nordwestlichen Baia Mare. Dort haben die Bürgermeister Betonmauern um die Romasiedlungen bauen lassen.
Im Vorjahr erschütterte das Schicksal des in Griechenland aufgegriffenen blonden Roma-Mädchens Maria die Welt. Zwar bestritt ihre bulgarische Mutter, ihr Kind verkauft zu haben. Doch ihre Nachbarn im südbulgarischen Dorf Nikolaewo erzählten, viele Roma-Familien betrieben Kinderhandel, um überleben zu können. Angeblich bringen bulgarische Roma-Frauen ihre Kinder im benachbarten Griechenland zur Welt, um sie dann wie Stückgut zu verkaufen.
Regierungen hilflos
Im ärmsten EU-Land Bulgarien machen die Roma mit schätzungsweise bis zu 700.000 rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die Arbeitslosigkeit soll ebenfalls nach Schätzungen bei 90 Prozent liegen. Die Ausweglosigkeit treibt viele Roma in die Kriminalität.
Die nationalen Regierungen agieren in der Regel hilflos. Die EU stellt zwar Gelder bereit, doch bezweifeln viele Experten, dass diese Mittel auch bei den Bedürftigen ankommen. Auf der anderen Seite hat sich eine unübersehbare Zahl von Nichtregierungsorganisationen (NGO) etabliert. Die oft großzügig vom Ausland finanzierten Hilfsorganisationen schreiben sich zwar die Unterstützung der Roma auf die Fahnen. Doch quantitativ messbare oder für viele spürbare Verbesserungen gibt es kaum.
Manchmal stellen westliche Länder und Organisationen oder Banken die Kreditbedingung, zuerst müsse den Roma-Minderheiten geholfen werden: mit Arbeit, Wohnungen, Strom, Wasser und Bildung. Das schürt die Feindschaft der Mehrheitsbevölkerungen noch mehr – denn auch ihnen geht es wirtschaftlich schlecht.
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