Angebliche Verschwörer verurteilt

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Langjährige Haftstrafen gegen ehemalige Militärs, Journalisten und Akademiker in der Türkei. Sie sollen Putschpläne gegen die Regierung von Premier Erdogan verfolgt haben.

Der türkische Ergenekon-Prozess gegen eine mutmaßliche Verschwörerbande gleichen Namens war ein Mammutverfahren sondergleichen: strengste Sicherheitsvorkehrungen, 600 Verhandlungstage, 2455 Seiten Anklageschrift – und mittendrin ein 70 Jahre alter Mann.

Der frühere Generalstabschef Ilker Basbug soll an der Spitze der Gruppierung gestanden haben, die angeblich Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und seine islamisch-konservative Regierung stürzen wollte. Basbugs Fallhöhe ist enorm, der Prozess endete für ihn mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe. 21 der insgesamt 275 Angeklagten – darunter Militärs, Abgeordnete, Politiker, Journalisten und Akademiker – wurden freigesprochen. Ein früherer Oberst wurde zu 47 Jahren Gefängnis verurteilt. Andere ehemalige Militärs erhielten Haftstrafen von bis zu 20 Jahren, wie türkische Medien berichteten.

Die Festnahme Basbugs im Januar 2012 ließ geschockte Kommentatoren in der Türkei schon eine „Zeitenwende“ vermuten. Denn die lange Zeit politisch mächtige Armee musste erstmals erleben, dass einer ihrer ehemaligen Chefs in Untersuchungshaft genommen wurde – wo er bis zur Urteilsverkündung auch blieb. Basbug ist der ranghöchste Ex-Offizier, dem am Montag der Prozess gemacht wurde. Dabei mag das Bild des Mannes, das Experten zeichnen, nicht so recht zu den schweren Vorwürfen gegen ihn passen.

Basbug „beruhigte“ den Kurden-Konflikt

„Er ist kein Falke“, sagt Sinan Ulgen, Leiter des Istanbuler Zentrums für Wirtschaftliche und Außenpolitische Studien. Zur Kurdenfrage habe er etwa „sehr konstruktive Beiträge“ geliefert, obwohl er zugleich die als „Terrorgruppe“ gebrandmarkte Arbeiterpartei Kurdistans PKK bekämpfen ließ. Viele Beobachter konstatierten während Basbugs Zeit als Militärchef zwischen 2008 und 2010 eine Beruhigung des Kurdenkonflikts, der nach seinem Abtritt neu aufflammte. Von der Regierung in Ankara forderte Basbug „gleiche Rechte“ für die ethnische Minderheit, damit sich diese nicht länger diskriminiert fühlen müsse.

Ausgerechnet dieser Mann soll zusammen mit knapp 300 Gefolgsleuten versucht haben, Erdogan mithilfe der bewaffneten Streitkräfte aus dem Amt zu jagen? „Er ist ein General, der die türkische Armee in ihren Baracken zu halten versucht“, beschreibt der Universitätsprofessor Ahmed Insel die Rolle Basbugs im ewigen Konflikt zwischen säkularistischen Militärs und islamisch geprägter Regierung. Insel hat zwei Bücher über die türkische Armee geschrieben und zählt Basbug nicht zu jenen Hardliner-Generälen, die 1997 zum Sturz der Regierung Necmettin Erbakans beitrugen.

Kommando über eine halbe Million Soldaten

Basbug durchlief die türkische Militärakademie und arbeitete später für die Aufklärungsdienste der NATO in Brüssel. Am britischen Army Staff College baute er seine Kenntnisse aus, avancierte 1989 zum Brigadegeneral und 2002 zum General, bevor er 2008 schließlich die Führung der 515.000 Mann starken Truppe Ankaras übernahm – der zweitgrößten NATO-Streitmacht hinter jener der USA.

„Der Kommandeur einer solchen Armee sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, eine bewaffnete Organisation gebildet und angeführt zu haben“, spottete Basbug bei seiner ersten Gerichtsanhörung im vergangenen Jahr. „Das ist tragikomisch.“ Während seiner Amtszeit habe er „immer gemäß Gesetz und Verfassung gehandelt“.

Truppen reinwaschen

Öffentlich versuchte Basbug stets vehement, seine Truppen von Putschvorwürfen reinzuwaschen. Als die türkische Polizei ein Waffenlager nahe Istanbul aushob, das den angeblichen Putschisten als Vorrat für den Ernstfall gedient haben soll, bestritt Basbug jegliche Beteiligung des Militärs. Die zwei Dutzend entdeckten leichten Panzerabwehrraketen tat er als „Leitungsrohre“ ab. „Er machte den Eindruck eines Menschen, der alles sagt, um die Armee zu schützen“, sagt Insel.

Basbug wird auch vorgeworfen, während seiner Amtszeit die Einrichtung von insgesamt 42 Internet-Seiten angeordnet zu haben, auf denen Propaganda gegen die Regierung verbreitet, aber auch gegen Griechen und Armenier gehetzt wurde. Einzelne Ex-Offiziere und der damalige Generalstab schieben sich die Verantwortung dafür gegenseitig zu. Wer von ihnen Recht hat, weiß Basbug wohl selbst am besten. Die türkische Justiz konnte er nicht überzeugen.