/ Allah, Bohnensuppe und Folter
Gebet, Frühstück, islamische Unterweisung, Bohnensuppe und Nächte in einem Schlafsaal mit 200 anderen Männern – die Tage im Militärgefängnis der libyschen Stadt Misrata sind eintönig. Nur wenn einer der Gefangenen zum Verhör abgeholt wird, kommt Unruhe auf. Denn nicht selten werden die Häftlinge in den Verhörzentren, die außerhalb des Gefängnisses liegen, geschlagen oder sogar gefoltert. Misrata gehört neben Sirte und Bani Walid – den beiden letzten Hochburgen der Anhänger des im Oktober getöteten Despoten Muammar al-Gaddafi – zu den Städten, in denen am heftigsten gekämpft worden war.
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) hatte in der vergangenen Woche ihre Arbeit in der kleinen Behelfsklinik auf dem Gefängnisgelände eingestellt, nachdem sie in 115 Fällen festgestellt hatte, dass Häftlinge bei den Verhören gefoltert worden waren.
„Unsere Kritik richtet sich allerdings nicht gegen die Gefängnisleitung, denn in der Haftanstalt selbst werden die Gefangenen gut behandelt“, sagt MSF-Sprecherin Claudia Evers. „Die Folterspuren wurden festgestellt, nachdem die Gefangenen aus den Verhörzentren zurückgebracht wurden.“ Diese unterstehen der Militärpolizei.
Feigling
Auch Scheich Fathi Abdel Salam Darass (37) geht die Misshandlung der Gefangenen gegen den Strich. Der Direktor des improvisierten Militärgefängnisses versorgt und bewacht zusammen mit 65 Freiwilligen die Insassen. „Wer in die Schlacht zieht, der ist ein richtiger Mann, doch wer einen Gefangenen schlägt, ist ein Feigling“, sagt er.
Auf seinem Tisch liegen die gelben Visitenkarten der Mitarbeiter von Amnesty International, die ihn kürzlich besucht haben. Von Menschenrechten und internationalen Konventionen weiß er nicht viel. Seine Richtschnur sei der Islam, sagt er. Er findet: „So ein bisschen schlagen beim Verhör, das ist nicht schlimm, aber alles, was darüber hinausgeht, darf nicht sein.“
„Osama bin Laden“
In seinem Büro geht es zu wie in einem Taubenschlag. Ständig klopft jemand an. Permanent klingelt sein Handy. Die Kabel des Kopfhörers, der an seinem Mobiltelefon hängt, verschwinden in seinem überlangen schwarzen Bart. Um den Kopf hat er ein schwarz-weißes Tuch geschlungen. „Westliche Besucher denken, wenn sie mich sehen, zuerst immer, „Aha, das ist so ein Typ wie Osama bin Laden“, scherzt er.
„Was ist denn da los?“, schimpft er in sein Mobiltelefon. An einer Straßensperre im Westen der Stadt sind zwei Angehörige des Clans des getöteten Diktators Gaddafi von einer „Revolutionsbrigade“ aufgehalten worden. Sie wollen einen Angehörigen besuchen, der im Militärgefängnis einsitzt. „Okay, ich komme und löse das selbst“, ruft Scheich Fathi verärgert.
Gleich fährt er los, um mit den Männern an der Straßensperre zu streiten. Er zieht die Augenbrauen hoch und seufzt: „Chaos, hier herrscht Chaos.“ Dass er in einer Grauzone operiert ohne Kontrolle durch ein Ministerium, mit dem er die Verantwortung teilen könnte, missfällt ihm.
Unschuldige Gefangene
Hinter dem vergitterten Fenster seines Büros hocken in einem überdachten Innenhof dicht an dicht mehr als 1000 Gefangene auf dem Boden. Die meisten von ihnen haben sich schon lange nicht mehr rasiert. Doch keiner hat einen so langen Bart wie Scheich Fathi. Er weiß, dass einige der Männer, die in dem Hof auf dem Teppichboden sitzen, unschuldig sind, und dass andere Rebellen getötet und Frauen vergewaltigt haben. Doch er sieht seine Aufgabe nicht darin, Richter zu sein.
„Wir kümmern uns darum, dass die Leute, die von den Brigaden und der Armee hierher gebracht werden, Decken und genug zu essen haben. Wir sorgen für ihre medizinische Behandlung und dafür, dass ihre Angehörigen sie besuchen können“, sagt er. Die Haftanstalt ist nicht sehr stark gesichert. Nur wenige der langbärtigen Gefängniswärter tragen sichtbar Waffen. Dass ihren Angaben zufolge bisher trotzdem nur ein Häftling versucht hat zu fliehen, liegt nach Einschätzung eines Mitarbeiters des Direktors daran, dass sie hier sicher sind. „Auf der Straße müssen sie sich vor Selbstjustiz fürchten.“
Davon, wie man ein Gefängnis leitet, wusste Scheich Fathi zwar nichts, als er im vergangenen Jahr die Haftanstalt im alten Gebäude der Behörde für Innere Sicherheit übernahm. Das Gebäude kannte er jedoch schon. Denn als Muslim mit langem Bart war er für das Regime von Langzeitdiktator Gaddafi verdächtig. Mehrfach wurde er einbestellt und befragt. „Geschlagen haben sie mich aber nicht, denn ich gehöre einer großen Familie an, die sie wohl nicht provozieren wollten“, sagt er.
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