30 Monate auf Bewährung

30 Monate auf  Bewährung

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Vor dem "Tribunal de grande instance" in Reims fand der Prozess zu dem tragischen Busunfall im Juni 2007 statt. Der schuldige Busfahrer wurde zu 30 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt.

Unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Straßmaß blieb das Gericht von Reims in der Affäre um den tödlichen Busunfall vom 14. Juni 2007 in Reims. Statt zu drei Jahren verurteilten die Richter den Fahrer zu zweieinhalb Jahren Gefängnis auf Bewährung. Der Prozess hatte am Dienstagnachmittag vor dem Tribunal de grande instance in Reims stattgefunden. Die Anklage lautet: „Fahrlässige Tötung und Verletzungen“. Auf dieses Vergehen steht in unserem Nachbarland eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren.

Bereits in den Mittagsstunden waren Familienmitglieder der Verstorbenen und Verletzten vor Ort, doch vor Prozessbeginn wurden sie vor der Öffentlichkeit abgeschirmt. Erst zwei Minuten vor 14 Uhr betraten sie den großen Sitzungssaal. Auch der Steinseler Bürgermeister Jean-Pierre Klein, begleitet von Vertretern des Schöffen- und Gemeinderates, wohnte der Verhandlung bei: „Et sin zwar baal 4 Joër hir, mä et as mir, wéi wann ech gëschter eréischt déi schrecklëch Biller gesinn hätt“, so Klein Die alles entscheidende Frage ist: Wie konnte es zu diesem Unfall kommen.

Der Unfall

Die Reise war von langer Hand geplant. Die Sechsklässler aus Steinsel konnten zwischen zwei Ausflugszielen auswählen, eines davon war Paris. So entschieden sich 34 Jungen und Mädchen für die Reise in die französische Hauptstadt. Am 14. Juni 2007, kurz vor 7.00 Uhr, machte sich die Gruppe an Bord eines Luxusbusses der Firma Ecker auf den Weg in Richtung Eifelturm. Schüler und Begleiter freuten sich auf ein tolles zweitägiges Programm in Paris.

Um 8.45 Uhr wurde die gute Stimmung an Bord des erst Busses durch einen lauten Knall gebrochen. In diesem Augenblick, wo Begleiter, unter Anleitung des Fahrers, ein defektes DVD-Gerät wieder in Gang bringen wollten und zu diesem Zweck ein Begleiter sogar über Mobiltelefon beim Busunternehmen Rücksprache hielt, prallte der Bus rechtsseitig auf einen stehenden Lastwagenanhänger der französischen Straßenbauverwaltung.
Der LKW sollte an der Stelle Mäharbeiten durchführen, war also entsprechend mit einem orangefarbenen Richtungspfeil und Warnleuchten bestückt.

Drei Tote

Der Bus kollidierte bei voller Fahrt zuerst mit dem Anhänger, dann mit dem angekuppelten 20-Tonnen-Lastwagen. Hierbei wurde der Bus auf der Beifahrerseite auf rund drei Metern aufgeschlitzt, der Auflieger des Lastwagens bohrte sich in das Innere des Busses und begrub die ersten vier Sitzreihen förmlich unter sich. Der Aufprall war derart heftig, dass der Bus den Lkw noch etwa 40 Meter weit vor sich hin drückte.

Um 8.58 Uhr lösten die französischen Instanzen den „Plan rouge“ (ähnlich wie der „Plan nombreuses victimes“ in Luxemburg). Innerhalb kürzester Zeit waren 105 Feuerwehrleute mit 30 Rettungswagen, neun Rettungssanitäter, drei Ärzten und 98 Sicherheitskräfte vor Ort. Ihnen bot sich ein Bild des Grauens. Zwei Insassen, die damals elfjährige Lis Steinmetz und ihr Lehrer Alain Marchetti (31), waren auf der Stelle tot. Die ebenfalls elfjährige Kelly Wolter sollte sechs Tage später ihren schweren Verletzungen im CHU erliegen. In einem „Poste médical avancé“ wurden vier Schwerverletzte, drei Schüler sowie der Busfahrer selbst, kurz behandelt und für den sofortigen Weitertransport ins „Centre hospitalier universitaire“ bereit gemacht. Elf weitere Kinder mussten mit leichten Verletzungen ins Krankenhaus, 22 Businsassen blieben glücklicherweise unverletzt.

Die Spekulationen

Wenige Stunden nach dem tragischen Unfall wurde bereits über die Unfallursache spekuliert. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung konnte gleich mit fast 100-prozentiger Sicherheit ausgeschlossen, war der Bus doch mit einem elektronischen Geschwindigkeitsbegrenzer versehen. Anschließend wurde ein eventueller technischer Defekt aufgeführt, doch auch dies bewies sich später als falsch. Laut Fahrtenschreiber hatte der erfahrene Fahrer F.T. die erlaubten Fahrtzeiten nicht überschritten.

Anschließend hieß es, dass der Busfahrer während dem Moment des Unfalls mit seinem Handy telefonierte, doch hierzu sagte man später aus, dass dem nicht so war. Es hätte wohl zum Unfallzeitpunkt ein Gesprächs wegen des defekten DVD-Gerätes an Bord des Busses mit dem Reiseunternehmen gegeben, doch dies hätte ein Begleiter geführt und nicht der Fahrer.

„Faute d’attention?“

Dies bestätigten am 28. Juni 2007 sowohl Marc Jacobs „gérant-associé“ des Busunternehmens Ecker, und Romain Kribs von der FLEA („Fédération luxembourgeoise des exploitants d’autobus et d’autocars“). Den bis dato gemachten Ermittlungen nach liege kein kapitaler Fehler des Busfahrers vor, so die beiden damals. Der Bus sei nicht zu schnell unterwegs gewesen und der Alkoholtest beim Fahrer sei negativ (0,0) verlaufen. Eine „unglückliche Verkettung verschiedener Zufälle“ habe wohl zum Unfall geführt, es bleibe jedoch noch zu prüfen, was im Moment des Unfalls wirklich auf der Autobahn geschah, da der Unfall 200 Meter hinter einer Auffahrt passierte.

Das war im Jahre 2007. Ganze 40 Monate lang wurde in diesem Fall ermittelt, so dass der Gerichtspräsidentin Odile Madrolle, der Substitutin Marie Truchet, dem Staatsanwalt Fabrice Belargent und natürlich auch dem Verteidiger des Fahrers ein umfangreiches Dossier vorgelegt werden konnte. Der Generalstaatsanwalt von Reims, Eric Enquebecq, machte am 18. Februar 2008 dem Tageblatt gegenüber folgende Äußerungen: „Was das Resultat der Untersuchungen anbelangt, kann und darf ich zu diesem Zeitpunkt nicht viel sagen. Die These einer „faute d’attention“ des Fahrers scheint sich aber zu bewahrheiten.“

Vier Zivilklagen

Anfangs der Sitzung wurde gleich mitgeteilt, dass es in vier Fällen Zivilklage gibt, so vertraten die Anwälte Me Penning, Me Rodesch und Me Lemmer, in Zusammenarbeit mit dem in Reims akkreditierten Rechtsanwalt Me Fossier, die Familienmitglieder der Verstorbenen sowie einiger Verletzten.

Der sichtlich erschütterte Busfahrer, F.T. (übte 27 Jahre lang diesen Beruf aus), gab zu verstehen, dass es sofort bei der Abfahrt in Luxemburg technische Probleme mit dem Bus gab. Beim Öffnen der Tür hätte sich die Alarmanlage des Gefährts eingeschaltet, doch er hätte dann trotzdem den Bus in Bewegung setzen können, nachdem der Alarm ausgeschaltet werden konnte. Bei der Ankunft am Schulgebäude in Steinsel konnte der Fahrer die hintere Doppeltür des Gefährts nicht öffnen und kaum unterwegs gab es Probleme mit einem DVD-Gerät. Das Gerät wurde während einer Pause an einer Raststätte, wo ebenfalls ein Reifen des Busses mit Luft nachgefüllt wurde, auf Herz und Nieren untersucht, doch ohne Resultat.

Defektes DVD-Gerät

Die Reise ging anschließend weiter, Alain Marchetti, einer der Lehrer, sprach über Mobiltelefon mit dem Busunternehmer in Steinsel. Es ging noch immer um das defekte DVD-Gerät.
Während diesem Gespräch gab der Lehrer dem Fahrer zu verstehen, sein Chef hätte gesagt, er solle doch am Armaturenbrett nach einem Schalter mit einem Fernsehschirm Ausschau halten und den eindrücken. Der Fahrer gab am Dienstag vor Gericht zu, dass er kurz die Straße aus den Augen ließ, sich mit dem Oberkörper leicht nach links beugte, um besagten Schalter zu finden. Dann sei alles sehr schnell gegangen. Er hätte plötzlich den orangenfarbenen Richtungspfeil gesehen, doch dann sei es bereits zum Aufprall gekommen. „Zuerst war ich nicht ganz bei klarem Bewusstsein, doch dann sah ich das viele Blut, ich hörte die schreienden Kinder, ich sah den toten Lehrer,“ so F.T. unter Tränen.

Die Ermittlungen ergaben, dass der Richtungspfeil über 600 Meter weit zu sehen war. Es wurde also die Frage aufgeworfen, ob der Fahrer während umgerechnet 22 Sekunden (der Bus war mit etwa 100 Stundenkilometer unterwegs) nach dem Schalter gesucht bzw. die Straße aus den Augen verloren hat. F.T. antwortete, dass er wohl nach einem Schalter gesucht hätte, dies aber keinesfalls so lange gedauert hätte.

Alles verloren

Auf die Frage, welche Folgen der Unfall für ihn gehabt hätte, antwortete F.T. erneut unter Tränen, dass er zwei Wochen im Koma lag, dann in einer Rehabilitationsstation weilte und anschließend wegen schwerer Depressionen behandelt wurde. „Ich habe meine Arbeit verloren, ich habe meine Kinder verloren, denn es waren wirklich meine Kinder (F.T. machte jahrelang den Schülertransport in Steinsel), ich habe viele Freunde verloren, ich lebe nicht mehr, sondern ich versuche nur noch, zu überleben. Ich habe ein Jahr lang nicht gearbeitet, bin nun als Pförtner in einem Schulgebäude eingestellt. Meine Familie und ich mussten aus Steinsel wegziehen, da ich immer dieses Schuldgefühl bei mir trage und die Blicke der Einwohner mir, meiner Frau und meinen Kinder sehr wehtaten. Meine Kinder wurden von anderen Kindern sogar als die des Mörders genannt.“

„Ich möchte mich hier in aller Form bei den betroffenen Familien entschuldigen. Es muss schrecklich sein, ein Kind zu verlieren, doch ich kann immer nur das Gleiche sagen: Es war ein Unfall. Ich habe die Kinder und die Lehrer gekannt, es waren, wie bereits gesagt, meine Kinder. Ich kann mich lediglich entschuldigen, ich bete täglich zu Gott …“

Während der Fahrt abgelenkt

Die Anwältin der „Fédération nationale des victimes d’accidents collectifs », die als eine der Zivilparteien vor Gericht auftrat, unterstrich, dass F.T. ihrer Meinung nach nicht nur kurz vor dem Unfall abgelenkt war, sondern während der gesamten Fahrzeit. Verschiedene Zeugen hätten ausgesagt, der Fahrer sei von Anfang an mit seinen Gedanken irgendwo anders gewesen. Sie beantragte eine angemessene Geldstrafe.

Die Anwälte der Familienmitglieder der verstorbenen Kinder und einiger Verletzten, Me Fossier, Me Lemmer und Me Penning, forderten ebenfalls neben der Übernahme der angefallenen Unkosten Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 pro Elternteil und von 75.000 Euro für die Schwester von Lis Steinmetz. Während seines Plädoyers hob Me Penning hervor, dass weder die Gemeindeverwaltung Steinsel noch das Busunternehmen Ecker sich zu irgendeinem Moment an die Familien gewandt hätten. Dies sei für ihn absolut unverständlich.

Selbstmord-Gedanken

Me Lemmer sprach u.a. vom verletzten Joé Biren, der unzählige Operationen am Bein, am Kopf, am Gehirn usw. über sich ergehen lassen musste. Der Junge sei Tage nach dem Unfall aus seinem Koma erwacht und seitdem hätte er die Lust am Leben nie mehr wieder gefunden. Er plage sich heute sogar mit suizidären Gedanken herum. Er könne sich kaum noch konzentrieren, was sich natürlich äusserst negativ auf seine schulischen Resultate auswirke. Es ging weiter die Rede von den anderen verletzten Kindern, die, mit wenigen Ausnahmen, alle traumatisiert seien.

Die Staatsanwaltin, Marie Truchet, gab zu bedenken, dass es sich in diesem Dossier nicht um einen Mordfall handelt, sondern F.T. sei wegen „fahrlässiger Tötung und Verletzung“ angeklagt. Er sei seiner Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen, er sei schuld an diesem Unfall, da er unachtsam war, da er sich ablenken liess. Er hätte die Straße für mehrere Sekunden aus den Augen gelassen, obschon er mit fast 100 km/h unterwegs war. Der Straßenbelag sei trocken gewesen, es hätten auch keine technischen Probleme am Bus festgestellt werden können, die einen solchen Unfall hätten verursachen können. Was die Positionierung des Lastwagens der französischen Straßenbauverwaltung mit dem orangefarbenen Richtungspfeil anbelangt, hätte diese den Vorschriften entsprochen. Untersuchungen hätten zudem ergeben, dass dieses Hindernis auf der Pannenspur mindestens 550 Meter weit zu sehen war.

Die große Rolle des DVD-Gerätes

„Même si c’est difficile de l’entendre pour certaines personnes ici présentes, mais dans ce cas il s’agit bel et bien d’une erreur humaine“, so die Staatsanwaltin. Doch sie fragte sich immer wieder, warum dieses nichtfunktionierende DVD-Gerät so eine große Rolle gespielt haben kann. Warum hat der Fahrer nicht zu einem gewissen Moment gesagt, das Gerät funktioniert nicht und damit basta? Warum hat man nach der Pause an der Raststätte nicht die Entscheidung getroffen, nicht mehr über das DVD-Gerät zu diskutieren?

Die Staatsanwältin beantragte neben einer Geldstrafe eine Haftstrafe von 3 Jahren, die eventuell komplett auf Bewährung ausgesetzt werden könne. Sie forderte aber ebenfalls ein lebenslanges Berufsverbot als Busfahrer für F.T.