Wir ist ich sind wir

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Seit seiner Gründung 1933 hat sich das Philharmonische Orchester Luxemburgs mit der Frage nach seiner Identität auseinandergesetzt.

Verglichen mit heute waren seine Anfangszeiten – zumindest in dieser Hinsicht – allerdings äußerst rosige. Man war, was man war: das Orchester von Radio Luxemburg, das RTL-Orchester. National und international als solches anerkannt.

Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu

1996 dann wurde das Orchester von staatlicher Trägerschaft übernommen, es wurde umgetauft, in OPL, Orchestre philharmonique du Luxembourg. Die (politische) Forderung war klar: Bitte seid von nun an das Orchester aller Luxemburger, seid als Orchester Träger bürgerlicher Identität. Und bitte seid auch kultureller Botschafter Luxemburgs im Ausland. Doch ein übergestülpter Name schafft noch lange keine neue Identität.

Die Zeit der Fragen begann. Wer ist eigentlich das Orchester? Die Musiker als Kollektiv kreativ handelnder Menschen? Die hervortretende Figur des Chefdirigenten? Oder sind es gar die Manager aus dem Marketing, die für Profil, Marke und Identität zuständig sind? Wer bin ich? Diese Frage ist bereits für einen einzelnen Menschen schwer zu beantworten.

Die meisten halten sich an Descartes: Ich denke, also bin ich. Sie definieren sich über ihre Gedanken. Nun ist es aber so, dass eine Gruppe nicht als Gruppe denkt, sondern aus eigenwillig denkenden Individuen besteht. Die Identität einer Gruppe – egal wie stark das Wir-Gefühl auch sein mag – lässt sich demnach nur durch einen gemeinsam gefundenen Konsens, sprich diskursiv, hervorbringen. Gruppenidentität ist immer ein kommunikatives Konstrukt.

OPL: In Vielfalt geeint

Diese Erkenntnis ist eine Erleichterung. Schließlich kann diskursiv so gut wie alles hervorgebracht werden. Wenn man sich denn gut anstellt. Und so wurde um die Jahrtausendwende bis heute das Profil des OPL als luxemburgisches, das heißt europäisches und kosmopolitisches Orchester geschärft. Das Bild passte zum Zeitgeist, schließlich surfte es sich zumindest bis vor kurzem noch gut auf der Europa-Welle. Und es ließ sich gut vermarkten: 20 verschiedene Nationalitäten in einem Orchester vereint, das spricht für Weltoffenheit. Das OPL: In Vielfalt geeint. Klingt schon fast nach einem Wahlspruch.

Spätestens seit der Eröffnung der Philharmonie im Jahr 2005 muss sich das OPL der Wahl auch tatsächlich stellen. Es muss neben einem Konzertzyklus „Grands orchestres“, bei dem sich die besten Orchester der Welt samt Stardirigenten und -solisten die Türklinken der Philharmonie in die Hand geben, bestehen, den Saal voll bekommen, trotz der großen Konkurrenz.

Anders als in der Politik oder auch beim Sport steht der Konkurrent in der Musik einem nicht direkt gegenüber. Wachsende Konkurrenz macht sich unterschwellig bemerkbar. An weniger verkauften Abonnements und leeren Stühlen in den Publikumsreihen. Und an geringerem Medieninteresse.

Um dagegen anzuwirken, helfen, verkürzt gesagt, drei Dinge. Erstens: die Sicherung von Qualität. Harte Arbeit am Niveau des Orchesters, an seiner Präzision und Finesse, ist unabdingbar.

Zweitens: der Kampf gegen Bequemlichkeit, Routine und Genügsamkeit. Ein sich ständig erneuerndes Repertoire, wechselnde Gastdirigenten, gar ein neuer Chefdirigent und Experimentierfreude sorgen für wohltuende Überraschungen. Im Inneren des Orchesters, aber auch bei der Wahrnehmung von außen.

Und drittens: Sichtbarkeit. Durch Tourneen im Ausland einerseits, aber vor allem auch durch Publikumsnähe zu Hause. Ganz nach dem Strawinsky-Motto: „Es genügt nicht, dass man Musik nur hören kann, man muss Musik auch sehen können.“