Vorhang zu

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Die Problematik ist nicht neu. Es ist Krise und die daraufhin von rechten wie linken Regierungen nahezu gleichermaßen vertretene Austeritätspolitik führt zu Reformen.

Reformen, die schnell Geld in die leeren Kassen spülen müssen, auch wenn dadurch die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinanderklafft.

Janina Strötgen jströtgen@tageblatt.lu

Die Betroffenen können schlucken und weitermachen. Sie können aber auch schlucken, innehalten, sich zusammentun und streiken. So geschehen am Freitagabend in Avignon. Statt der Kleist’schen Worte des Prinzen von Homburg hallten zur Eröffnung des Theaterfestivals Parolen wie „ce que nous défendons, nous le défendons pour tous“ durch den Ehrenhof des Papstpalastes.

Der Streik, der punktuell stattfindet, sich seit Montag aber auch auf das Off-Festival ausgedehnt hat, richtet sich gegen die von der Medef gemeinsam mit Arbeitsminister François Rebsamen ausgearbeitete und Ende Juni von der Regierung bewilligte Reform des Statuts der „intermittents du spectacle“. Die Möglichkeit für freie Mitarbeiter aus dem Kultur- und Medienbetrieb, in Perioden ohne Engagement Arbeitslosengeld zu beziehen, soll in Zukunft weiter eingeschränkt werden.

Dass das Gesetz reformiert werden muss, darin sind sich alle einig. Doch die geplante Reform trifft die Falschen. Denn es sind nicht die einzelnen Zeitarbeiter aus finanziell schwachen Einrichtungen wie kleinen Theatern oder unabhängigen Tanzgruppen, die ein Loch in die Haushaltskasse reißen. Vielmehr sind es Großunternehmen wie Fernsehanstalten, Produktionsfirmen, Werbeagenturen oder Vergnügungsparks, die das Gesetz regelmäßig missbrauchen. Anstatt ihrer Verantwortung als Arbeitgeber nachzukommen und Festverträge zu vergeben, stellen sie verstärkt Zeitarbeiter ein. Damit wälzen sie ihre Kosten indirekt auf die Arbeitslosenversicherung der Zeitarbeiter ab. Dies zu verhindern, wäre Aufgabe der Regierung. Doch dazu bräuchte es Weitsicht, Mut zu struktureller Veränderung und Widerstandsfähigkeit gegenüber einem immer stärker ausufernden Kapitalismus. Da ist es doch leichter, einem Schauspieler während eines Engagements höhere Sozialabgaben abzuknüpfen und die Entschädigungsleistungen in seinen Perioden der Arbeitslosigkeit zu senken.

Der Kampf der Kulturschaffenden ist demnach völlig legitim. Ihr Streik, der sich über den gesamten Festivalsommer ziehen könnte, ist kein „Jammern auf hohem Niveau“, sondern wirklich ein Kampf im Namen aller. Sie wehren sich gegen die Beschneidung sozialer Errungenschaften und gegen immer härter werdende Ungerechtigkeiten im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Spielen ist lebensnotwendig

Es geht ihnen um die Auffassung von Arbeit, um den Platz von Kultur und um die Definition von Demokratie. Dass ihnen für ihren Kampf nur der Streik als Mittel zu bleiben scheint, ist jedoch sehr bedauerlich. Denn dort, wo gespielt wird, bewegt sich etwas, wie auch der Jubel nach der auf Samstag verschobenen Eröffnungsveranstaltung eindrucksvoll zeigte.

Spielen ist lebensnotwendig, gerade auch im Off-Bereich, der offenen Szene des Festivals, dort, wo sich Jahr für Jahr über tausend kleine Theatergruppen treffen. Hier werden Kontakte geknüpft, hier können Schauspieler, Regisseure und Bühnentechniker auf sich aufmerksam machen, neues Publikum begeistern, Engagements bekommen und Verträge für die kommende Saison schließen. Wenn Künstler nicht auftreten, dann verzichten sie auf ihre ureigensten Ausdrucksmittel, dann verzichten sie auf ihre Interpretation der Wirklichkeit, ihren Kommentar zur Welt, ja auf ihr Spiel als politische Geste an sich. Oder, um es mit Katharine Hepburn zu sagen: „Bringt man die Künstler zum Verstummen, so hat man die artikulierteste Stimme des Volkes zum Schweigen gebracht.“