Vertrag und Wirklichkeit

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Im Zeitalter des Turbokapitalismus gibt es eine Spezies Mensch, die besonders prächtig zu gedeihen scheint: der Bullshit-Produzent.

Regelmäßig begegnet man z.B. im Transportwesen Firmen, die das Blaue vom Himmel versprechen, die aber, sobald es darum geht, den Worten Taten folgen zu lassen, „de Blousse weisen“ müssen.

Francis Wagner fwagner@tageblatt.lu

So kommt es dann vor, dass etwa die „Fyra“-TGVs des italienischen Herstellers Ansaldo-Breda zwar den Zuschlag für den Verkehr Amsterdam-Brüssel erhielten, in der Praxis aber nicht in der Lage sind (und wahrscheinlich nie sein werden), die im Vertrag niedergelegten Spezifikationen zu erfüllen. In Luxemburg kostete es die CFL einigen Ärger, bis ihre Alstom-Loks der Serie 3000 die vom Hersteller versprochene Zuverlässigkeit und Leistung endlich erreicht hatten.

In der Luftfahrt gehen neue Fahrzeuge (in der Regel) nicht in den kommerziellen Betrieb, bevor ihre Zuverlässigkeit nicht zweifelsfrei unter Beweis gestellt worden ist. Wenn ein Zug liegen bleibt, ist das für die Passagiere höchst ärgerlich, ihre körperliche Unversehrtheit wird allerdings davon eher nicht gefährdet. Wenn aber ein Flugzeug den Dienst versagt, sind die Konsequenzen hieraus nur allzu oft für die „Paxe“ wie für die Besatzung fatal. Es ist demnach heutzutage eher selten, dass neue Flugzeugtypen Probleme haben, sich in der Luft zu halten. In den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts, als es etwa mehrere Exemplare der neuen „Comet“ unverhofft in vollem Flug zerriss, war das noch anders.

Beinhartes Gefeilsche

Probleme mit neuen Luftfrachtern und Passagierflugzeugen gibt es dennoch zuhauf: dies allerdings meist auf kommerziellem Gebiet. Flugzeuge sind extrem teure, aber halt auch recht langlebige Güter. Eine regelmäßig und fachgerecht gewartete Maschine kann sicher und problemlos über vier Jahrzehnte und mehr im täglichen Einsatz stehen.

Weil aber in der Luft die Konkurrenz immer stärker wird, werden die Betriebskosten, die ein Flugzeugtyp verursacht, für die Airlines immer wichtiger. In einer Industrie, in der die Gewinnmargen einer kontinuierlichen Erosion ausgesetzt sind, wird die Wirtschaftlichkeit der Maschinen zur absolut prioritären Frage. Drei Prozent mehr oder weniger Benzinverbrauch sind dem typischen Autofahrer schnurzpiepegal. In der Luftfahrtindustrie können sie den Ausschlag darüber geben, ob ein Flugzeugtyp in der Gewinn- oder in der Verlustzone fliegt.

Insofern ist der derzeitige Streit zwischen Cargolux und ihrem angestammten Lieferanten Boeing sehr spannend. Falls die neuen Jumbos nicht die in den Verträgen versprochene höhere Wirtschaftlichkeit zu erreichen in der Lage sein sollten, lohnt es sich für die Airline nicht, pro Exemplar gut 300 Millionen Dollar für deren Anschaffung zu berappen. Erst eine Maschine, welche die in Aussicht gestellten Einsparungen wirklich erfüllt, vermag der Airline jenen Konkurrenzvorteil zu verschaffen, der die für die Anschaffung derlei Geräts erforderlichen kolossalen Investitionen tatsächlich rechtfertigt.

Dumm nur für die Cargolux: Sie kann nicht einfach mal beim Nachbarn shoppen. Ein Flugzeug, das ihren Anforderungen so ideal entspricht wie Boeings 747, hat kein anderer Hersteller im Angebot. Andererseits wäre es sehr peinlich für Boeing, wenn ihnen ihr „launch customer“ für die neue 747-8F plötzlich abhanden kommen würde.

Demnach besteht zwischen den beiden Kontrahenten eine gegenseitige Abhängigkeit, und es dürfte am Ende wohl so sein, dass sich der aktuelle Zoff nach einigen Runden beinharten Gefeilsches doch noch in Wohlgefallen auflösen wird.