Unerträgliche Unmoral

Unerträgliche Unmoral
(Tageblatt/Isabella Finzi)

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Dass dieser Ben Ali, der Tunesien so lange mit dem Einverständnis nicht nur seiner Kollegen Diktatoren, sondern auch mit dem des Westens ausbeutete, von seinen endlich aufständischen Landsleuten so schnell entmachtet wurde, sollte vielen eine Lehre sein.

Zuvorderst den Herren und Damen aus der Politik und der Hochfinanz, die meinen, sie hätten Europa im Griff. Die Geschichte lehrt, dass die Europäer (Franzosen, Deutsche, Spanier, Italiener, Briten gar, und sowieso all die andern) ein revolutionäres Gen in sich tragen. Periodisch räumen sie auf mit Betrügern, Schmarotzern und Spekulanten.

Es wird immer mehr Menschen in Europa klar, dass die gegenwärtige, von der Großen Politik und ihren Instrumenten (Weltwährungsfonds, OECD, NATO, EU ) getragene Wirtschaftsordnung auf die Ziele des liberalsten Kapitalismus aller Zeiten eingeschworen ist:

Ziel: Profit

So viel Profit wie möglich für die international aufgestellten Konzerne, koste es nationale, regionale und lokale Gemeinschaften, was es wolle. Weg mit all dem sozialen Unfug wie Mindestlöhnen, geregelten Arbeitszeiten, staatlich abgesicherten Pensions- und Krankenkassen; frei von all diesen Lasten muss der Unternehmer werden, weil er ja in Konkurrenz steht mit solchen, die den Kostenfaktor Arbeit billiger einkaufen, überall!

Luxemburg ist zu teuer, rufen die Herolde der unerträglichen Unmoral, die dem System anhaftet. Überall kriegen wir billigere Knechte, und am billigsten sind sowieso die Russen und die Chinesen, sagen die Manager.

Druck der Märkte

„Les marchés accentuent leur pression sur la Belgique“, titelte der Brüsseler Soir vergangene Woche. Ein paar Tage später trumpfte er mit der guten Nachricht auf: „L’annonce d’un budget calme les marchés“.

Das war Klartext: Nicht demokratisch gewählte Regierungen regieren, sondern „les marchés“, diese von zweit-und drittklassigen Politikern entfesselten Triebe der Gier an Börsen, in Rating-Agenturen, Investment-Banken und Spekulationsfonds.

Höchste Rendite

Die „marchés“ wollen höchste Renditen. Wo die nicht möglich sind, aus welchem Grund auch immer, wird dichtgemacht: Man hat keine soziale Verantwortung, man wird als Boss der Luxemburger Filiale für ein Ziel bezahlt, das vielleicht nur erreichbar ist, wenn die Arbeitnehmer geschröpft werden, womöglich legal, via Reformen.

In Luxemburg gibt es kaum noch eigenständige Firmen, und an der Spitze der Tochtergesellschaften stehen zumeist Nicht-Luxemburger, die einerseits vorgeben, das Land zu lieben, und andererseits alles tun, fir dat Lëtzebuergescht u Lëtzebuerg kaputt zu machen. Diese Leute wollen nicht, datt mir bleiwe, wat mir sinn. Sie wollen uns integrieren in ihre Mega-Strukturen, gleichstellen mit all den andern.

„Identität berauben“

Sie wollen uns, am Ende, der Luxemburger Identität berauben.
Dass Zugezogene so was tun, mag irgendwie verständlich sein. Der Franzose, der Belgier, der Deutsche wird kein Luxemburger, wenn er nicht denkt und fühlt wie wir. Reden soll er, wie er kann!

Unverständlich wird, wenn Luxemburger unbedingt die Speerspitze des sozialen Abbaus sein möchten.
Glaubt Herr Wurth allen Ernstes, Mittal wäre ihm zum Dank verpflichtet, wenn Herr Juncker und dessen CSV ihm den Index und andere Lästigkeiten vom Halse schafften? Streiten sollte er für die Luxemburger Eigenarten, wie andere Mittal-Barone für die ihrer Provinzen streiten! Das ehrte ihn.

Dampf ablassen!

Übrigens: Die Sache mit den 27.000 nicht geschaffenen Arbeitsplätzen, wegen eines von der „Union des entreprises“ errechneten, rein theoretischen BIP-Rückstands in Höhe von 12%, verstehen wir nicht.

Von Dezember 2000 bis Dezember 2005 wuchs die Zahl der gegen Lohn oder Gehalt Beschäftigten in Luxemburg von 250.000 auf 292.000; von Dezember 2005 bis November 2010 wuchs sie von 292.000 auf 347.000.

Es gibt in Luxemburg keine mechanische Relation zwischen dem BIP-Wachstum und dem Beschäftigungs-Wachstum.
Der Langzeittrend stimmt indiskutabel, und weil kein Patron jemanden einstellt, ohne an dessen Leistung seinen schönen Anteil zu haben, gehen wir davon aus, dass sich, wie seit jeher, gut Geld verdienen lässt in Luxemburg.

Dampf ablassen, die Herren!
Überdruck sprengt den Kessel.