Tauziehenin Brüssel

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Das Hin und Her um die Nominierung des Kandidaten für die EU-Kommissionspräsidentschaft treibt täglich neue Blüten.

Trotz wiederholten Beteuerungen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, der offensichtlichen Königsmacherin in der EU, dass sie sich für ihren Parteikollegen Jean-Claude Juncker einsetzen werde, damit dieser die notwendige qualifizierte Mehrheit im Europäischen Rat erhält, flauen die Spekulationen darüber, wer tatsächlich das Rennen machen wird, nicht ab. Das liegt wohl daran, dass die deutsche Regierungschefin gleichzeitig immer wieder betont, dass sie Großbritannien unbedingt in der Europäischen Union halten will. Es ehrt sie, dass sie derart um den Zusammenhalt in der EU besorgt ist und sich auch dafür einsetzen will, diesen zu erhalten.

Guy Kemp gkemp@tageblatt.lu

Es fragt sich nur, wie sie den Spagat hinbekommen will: zum einen den Drohungen und Erpressungsversuchen des britischen Premiers zu begegnen, das EU-Austrittsreferendum in seinem Land vorziehen zu müssen, falls Jean-Claude Juncker zum Zuge käme, zum anderen die aus einer europaweiten Wahl hervorgegangene demokratische Entscheidung einzuhalten, die den EVP-Spitzenkandidaten dazu legitimiert, eine Mehrheit im Europäischen Parlament zu finden. Wo sich unter anderem der neue Fraktionschef der EVP, Manfred Weber, und der künftige sozialistische Fraktionsvorsitzende Martin Schulz eindeutig für den ehemaligen luxemburgischen Premierminister ausgesprochen haben.

Britisches Referendum kommt ohnehin

Der britische Premierminister will ja nicht nur wegen Jean-Claude Juncker ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU abhalten. David Cameron will die Beziehungen seines Landes mit der Union neu aushandeln, eine Mitgliedschaft nach Maß, die nicht zu allem verpflichtet. So wie jetzt bereits, nur mit einem noch größeren Spielraum. Bislang haben sowohl Deutschland als auch Frankreich es abgelehnt, darüber zu verhandeln. Doch müssten, wohl oder übel, alle 27 nachgeben und London den Wunsch erfüllen, wenn sichergestellt werden müsste, dass die Briten bei ihrer Volksentscheidung nicht für einen EU-Austritt stimmen. Also: Wenn nach David Cameron die Chance auf einen Verbleib Großbritanniens in der EU nur erhalten werden kann, indem Jean-Claude Juncker nicht EU-Kommissionspräsident wird, dann bleibt immer noch, dass London eine maßgeschneiderte Mitgliedschaft erhalten muss. Und dann muss noch darauf gehofft werden, dass die Farage-Leute der UKIP nicht doch ihr finales Ziel erreichen: die Befreiung der Insel von Brüssel, wie sie es ausdrücken würden. Wofür die britischen EU-Gegner, auch in den Reihen der konservativen Tories von Cameron, sicherlich heftigst werben werden.

Nur, wollen wir diese Entwicklung? Sollten wirklich politische Absprachen nicht eingehalten werden, der Ausgang einer EU-weiten Wahl teilweise ignoriert werden, um am Schluss vielleicht doch nicht das zu erhalten, wofür all dies aufgegeben wurde? Die britische EU-Mitgliedschaft in Ehren, aber hier handelt es sich doch um grundlegende Elemente des Demokratieverständnisses in Europa. Man mag jetzt einwerfen, ob der polnische Klempner, der griechische Landwirt oder der französische Bäcker wirklich erbost wären, wenn keiner der angetretenen Spitzenkandidaten für den Posten in der EU-Kommission zurückbehalten würde. Doch sie werden es erfahren, wenn die Populisten und Europhoben losziehen, um zu erzählen, dass in dieser Union nicht einmal Wahlresultate eingehalten werden.

Es geht daher nicht nur um Jean-Claude Juncker, sondern auch um die Frage, ob diese Union demokratischer gestaltet werden soll, dort, wo es möglich ist, eben etwa bei der Auswahl des EU-Kommissionspräsidenten. Wenn die EU sich in Zukunft, wie viele das fordern, nur noch um herausragende europäische Angelegenheiten kümmern soll, dann muss die europäische Wählerschaft wenigstens den Vorsitzenden der dafür maßgebenden Behörde bestimmen können. Das darf dann nicht länger vom Gutdünken einzelner nationaler Politiker abhängen.