Tanz auf dem Drahtseil

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Am 2. Oktober 2006 kam es zu einem schrecklichen Unfall in der Steinseler „Maison relais“. Ein Schrank, der nicht, wie vorgeschrieben, am Boden festgeschraubt war, fiel auf den sechsjährigen Luca. Der Junge verstarb.

Fünf Jahre später verurteilte das Gericht die Direktionsbeauftragte des Kinderhortes zu vier Monaten Haft auf Bewährung, zwei Erzieher wurden zu drei beziehungsweise vier Monaten Haft verurteilt, ebenfalls auf Bewährung. Alle Angeklagten, inklusive des Sicherheitsbeauftragten der Gemeinde, erhielten daneben hohe Geldstrafen. Mit dem Urteil ging das Gericht über die Forderungen des Generalstaatsanwalts hinaus, der auf „menschliche Fehler“ verwiesen und eine Aussetzung des Urteils gefordert hatte.

Robert Schneider
rschneider@tageblatt.lu

Der Fall des Steinseler Jungen war Thema auf einer Informationssitzung der Erzieher, die während der vergangenen Woche in der Hauptstadt auf ein Interesse stieß, mit dem selbst die Veranstalter, die Berufsvereinigungen der „éducateurs“ und der „éducateurs gradués“, nicht gerechnet hatten. Da meldete eine Erzieherin, wie gut es doch sei, dass einer ihrer Kollegen handwerklich so begabt sei, dass er das Anschrauben von Schränken und andere sicherheitsrelevante Arbeiten selbst vornehmen könne. Wenn ein Handwerker der Gemeinde angefordert werde, würde es mehrere Wochen dauern, bis der Job erledigt sei. Eine Wortmeldung aus dem Kreis der Erzieher warnte allerdings schnell vor solchen „Do-it-yourself“-Praktiken. Gehe dabei etwas schief, so müsse der freundliche Helfer wohl mit einer Verurteilung rechnen.
Diese Episode gibt Einblick in die Stimmung unter den Erziehern.

Mit der Deontologie gespielt

Abgesehen von Lohnforderungen, die zu einer Anpassung an Berufsbilder mit vergleichbarer Ausbildung führen sollen, verlangen die Erzieher, deren es etwa 5.000 in Luxemburg gibt, vor allem Anerkennung ihrer Arbeit, geeignete Einrichtungen und die Möglichkeit, ihren Job entsprechend qualitativ hochwertigen Kriterien tun zu können.

Vor allem seit Einführung der „chèques-services“ übersteigt die Nachfrage offensichtlich das Angebot, was einerseits zu wachsenden Zahlen von Betreuten führt und den Berufsstand quasi dazu zwingt, über die gesetzlich vorgesehenen Kontingente hinaus heterogene Gruppen zu betreuen bzw. zu überwachen, und andererseits einen grauen Markt an Einrichtungen aufblühen lässt, in denen nicht ausgebildetes Personal sich die Verwahrung von Kindern bezahlen lässt.

Die Beispiele während besagter Informationsversammlung, die zu einer Protestveranstaltung wurde, ließen aufhorchen. Da meldeten Erzieherinnen, sie müssten Gruppen von sechs bis acht Säuglingen alleine beaufsichtigen, andere verwiesen auf den zunehmenden administrativen Aufwand, wieder andere auf Arbeitsverträge von zehn, zwölf oder 15 Stunden pro Woche, die sie dann auch noch mit zeitlichen Unterbrechungen abarbeiten müssten. Weitere erklärten, dass sie verstärkt zu Tätigkeiten herangezogen würden, die nichts mit ihrem eigentlichen Aufgabenbereich zu tun hätten, frei nach dem Motto, dass Sozialarbeiter ja eine soziale Einstellung haben und somit gerne anpacken.

Die Ursachen des wachsenden Zorns sind vielfältig und die Geduld in dem Bereich schwindet.
Die Bereitschaft zum Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen wird wohl nicht im Sande verlaufen oder, wie Marc Pletsch vom Berufsverband prophezeiend während der Versammlung meinte: „Dies ist der Beginn von etwas ganz Großem.“