Stress um die Tests

Stress um die Tests
(Tageblatt/Robert Spirinelli)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Der 26. April 1986 hätte das Ende der Atomkraft sein können. Um 1.23 Uhr in der Nacht erschüttert an dem Tag eine gewaltige Explosion Block 4 des Kraftwerks Tschernobyl in der Ukraine.

Während zehn Tagen brennt der Kern des Reaktors unkontrolliert, wird eine Strahlung freigesetzt, die dem 200-fachen der Atombombe von Hiroshima (6. Mai 1945) entspricht.

Leon Marx (Bild: Tageblatt/Alain Rischard)

Doch die Ukraine ist nicht Europa, ist nicht Amerika und nicht Japan. „Unsere Kraftwerke sind anders, besser, sicherer.“ „Wir beherrschen diese Technologie“: Quer über den Globus gingen Politiker aller Couleur vor 25 Jahren mit solchen und ähnlichen Sprüchen vor ihr Volk.

Japan, das damals 32 Atomreaktoren hatte, zählt heute deren 55. Vier davon sind seit der Kettenreaktion von Störfällen und Explosionen zwischen dem 11. und 13. April 2011 allerdings nur noch Schrott. Strahlender Schrott, der vorletzte Woche auf die höchste Stufe der internationalen Störfall-Skala angehoben wurde.

Insbesondere, weil auch sechs Wochen nach der Explosion noch immer Radioaktivität unkontrolliert aus den Ruinen des Meilers entweicht. Vorsichtig, aber bestimmt nähern sich die japanischen Krisenmanager denn auch der Idee einer „Endlösung“ nach ukrainischem Modell.

Wie genau der japanische Sarkophag aussehen soll und wer ihn finanziert, steht noch nicht definitiv fest. Vieles deutet aber darauf hin, dass jetzt, wo die Gewinne, die von privaten Aktionären jahrzehntelang einkassiert wurden, nicht mehr fließen, die Folgekosten nach klassischer Manier nationalisiert werden sollen.

Doch das nur am Rande. Die Katastrophe in Fukushima hat zu einer Flut von Stellungnahmen geführt. Da gibt es Leute, auch in der Medienbranche, die „einfach so“ für die Atomkraft sind, weil sie irgendwann mal für sich persönlich entschieden haben, prinzipiell immer gegen den „Mainstream“ zu sein; da gibt es Politiker, die sich über Kongressbeschlüsse hinwegsetzen und meinen, für die Atomkraft plädieren zu müssen, auch wenn die Partei dagegen ist; da gibt es Politiker die sich für einen Ausstieg aus der Atomkraft ausgesprochen haben, denen aber der Rückhalt in der eigenen Partei fehlt.

Weit aus dem Fenster gelehnt …

Zu letzterer Kategorie gehört auch Premierminister Jean-Claude Juncker, der sich in der Regierungserklärung vom 6. April sehr weit aus dem Fenster gelehnt hat, der es aber bislang nicht geschafft hat, „seine“ Partei auf diesen Kurs zu bringen. Die CSV hadert, mehr als 30 Jahre nach Remerschen, immer noch mit sich selbst. Dass das die luxemburgische Position beim Treffen der Regierungschefs der Großregion zum Thema Kernkraftwerkssicherheit am morgigen Mittwoch in Metz nicht gerade stärkt, dürfte auf der Hand liegen.

Es gebe keinen baulichen Schutz gegen den Absturz eines voll betankten Jumbojets. Die Anlage sei so nicht konzipiert, erklärte auf einer Pressekonferenz am 13. März freimütig Direktor Stéphane Dupré-la-Tour. Damit ist – auch ohne Stresstest – klar, dass Cattenom vom Netz genommen werden müsste. („Sou hu mir zum Beispill e Recht drop, bewisen ze kréien, datt e voll getankte Jumbo, deen op d’Atomzentral vu Cattenom fällt, keng radioaktiv Katastroph ausléise kann. Gëtt dëse Beweis net geliwwert, da muss Cattenom ofgeschalt ginn.“ Dixit Juncker, 6. April im Parlament.)

„Stresstest“ könnte zum „Wort des Jahres 2011“ werden. Oder zum „Unwort“, zum Synonym für Heuchelei und leere Versprechungen. Die Grünen sind als Erste auf den Zug gesprungen und haben auch die Regierung einem „Stresstest“ unterzogen. Das Resultat fiel – wen wundert’s – wenig schmeichelhaft aus. Aber die Idee ist nicht schlecht. Warum sie nicht auf Schöffen- und Gemeinderäte ausweiten? In einer ersten Etappe z.B. auf die der Klimabündnisgemeinden, die sich auf dem Papier zu einer Halbierung ihrer CO2-Emissionen bis 2030 (Basisjahr 1990) verpflichtet haben.

Und: Sollte sich nicht jeder, ganz persönlich, ob Politiker oder Bürger, einem selbstkritischen Stresstest unterziehen, bevor er sich an einem der Ostermärsche beteiligt, die in diesem Jahr wohl ihre Renaissance erleben werden?