Stillstand und Illusion

Stillstand und Illusion
(AFP)

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Einige Kommentatoren meinen immer wieder, Frankreich bräuchte eine große Krise, um die lähmenden und verkrusteten Strukturen aufbrechen zu können.

Nicht wenige Franzosen blicken demnach gerne auf den Staat als Allheilmittel für sämtliche Probleme des Landes. Dabei meinen gerade oft genug die, welche Unternehmergeist beweisen wollen, dass der Staat durch seine Barrieren, seine Besteuerung schuld an Frankreichs wirtschaftlichem Stillstand ist.

Sascha Bremer sbremer@tageblatt.lu

Umgekehrt scheint es in den USA zu laufen. Dort wird von großen und vor allem bestimmenden Teilen der Bevölkerung alles, was vom Staat kommt, als Ausgeburt des Teufels abgetan. Der Staat soll sich höchstens um die Aufrechterhaltung der Ordnung kümmern.

Das mag gut für die wirtschaftliche Entwicklung sein. Den Stillstand der amerikanischen Gesellschaft findet man seit langem anderswo: bei der Einkommensentwicklung, im Gesundheitswesen, in der Bildung, den Aufstiegschancen von mittellosen Gesellschaftsschichten.

Fast 25 Jahre nach dem Fall der Mauer leiden beide so unterschiedlichen Länder eigentlich an derselben Krankheit: der unversöhnlichen Konfrontation von Lagern, die sich tief ideologisiert haben. Mag sein, dass der Kapitalismus als Form der wirtschaftlichen Organisation überlebt hat – nicht sonderlich gut, wie man heute merkt – die ideologischen Konfrontationen haben sich zum Teil eben auf andere Bereiche der Gesellschaften ausgeweitet. Eine von ihnen ist die über die – eigentlich uralte – Rolle des Staates innerhalb des Gemeinwesens.

Lagerdenken ist per se nicht schlimm. Nicht erst seit dem antiken Rom und seiner Republik (einer der kulturellen Wiegen unserer heutigen gesellschaftlichen Organisation) spielen sich die öffentlichen Debatten oft zwischen zwei und mehreren Lagern ab. Als Resultat dieser Konfrontation ergeben sich im besten Fall im Konsens geborene politische Weichenstellungen, die im Sinne der Allgemeinheit sind.

Aber die Geschichte hat oft genug Beispiele hervorgebracht, dass unversöhnliche Positionen katastrophale Folgen hatten. Das Ende der römischen Republik zum Beispiel war u.a. durch mehrere jahrelange Bürger- und Eroberungskriege gekennzeichnet, an deren Ende Rom zwar ein Imperium hatte, aber die unendliches Leid gekostet haben. Debatten und politische Weichenstellungen waren danach nur noch das Privileg von einigen „happy few“.

Glücklicherweise herrschen hierzulande andere Verhältnisse als in den USA und in Frankreich. Über die Rolle des Staates werden jedenfalls keine großen Lagerkämpfe geführt – dies geht schlicht nicht, und dies aus einem Grund: L’Etat c’est nous, und zwar ganz besonders deshalb, weil wir Luxemburger in der Mehrzahl einen Lohn von ihm erhalten. Warum sich ins eigene Knie schießen, es geht uns doch gut, oder?

L’Etat c’est nous!

Wie heißt es so schön: „Géi bei de Staat, da geet et der gutt“. Dies mag wahr gewesen sein und für viele auch jetzt noch stimmen. Der so tief in unserem Wesen verinnerlichte „séchere Wee“ eben. Leben wir heute nicht bereits in einer Illusion? Was, wenn sich die Staatsanstellung der Mehrheit der Luxemburger morgen in dieser sich rasch wandelnden Welt als größeres persönliches Risiko herausstellt? Können wir Privatwirtschaft? Sind wir nicht nur in den Ferien unternehmungslustig und risikobereit? Oder muss der Staat all dies wieder für uns richten?

Die Beantwortung dieser Fragen macht im luxemburgischen Fall u.a. aus, ob unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht im Stillstand verharrt oder nicht.

(Sascha Bremer/Tageblatt.lu)