Spektakulär gefährlich

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Höher, schneller, weiter: Drei Tage vor dem Ende der XXI. Winterspiele in Vancouver ist das olympische Motto aktueller denn je. Allerdings bekommt es durch die Ereignisse der letzten zwei Wochen einen faden Beigeschmack.

Philip Michel
pmichel@tageblatt.lu

Beispiel 1: Die Spiele waren noch nicht eröffnet, da gab es mit dem georgischen Rodler Nodar Kumaritaschwili ein Todesopfer zu beklagen. Auf tragische Art und Weise bewahrheiteten sich die Befürchtungen der Kritiker der olympischen Eisbahn in Whistler Mountain. Die von den Organisatoren als schönste Bobbahn der Welt gepriesene Eisrinne erwies sich für die Spitzenleute als echte Herausforderung, der Rest war bei Geschwindigkeiten von bis zu 150 km/h einfach nur überfordert. Konsequenz: Die Rodel-, Bob- und Skeletonwettbewerbe arteten in regelrechte Sturzorgien aus. Vor allem auch, weil bei Olympia traditionsgemäß zahlreiche „Exoten“ mit zu wenig Erfahrung und zu wenig Können an den Start gehen dürfen, um die Universalität der Veranstaltung zu wahren.

Beispiel 2: Im Halfpipe-Wettbewerb, der Königsdisziplin der Snowboarder, stand ein Großteil der Athleten die immer komplizierter werdenden Sprünge nicht. Der Schwierigkeitsgrad wird immer größer, aber nur wenige sind in der Lage, die Sprünge auch zu meistern. Die Entwicklung ist vor allem dem alles überragenden Snowboarder Shaun White geschuldet. Der holte sich in Vancouver souverän sein zweites Olympiagold, auch weil er im Vergleich zur Konkurrenz ideale Trainingsbedingungen hat. Ein Sponsor baute dem Superstar unter den Wintersportlern (geschätzter Jahresverdienst zehn Millionen Dollar) für 500.000 Dollar eine Halfpipe. Ein klarer Wettbewerbsvorteil für White, in Anbetracht der Tatsache, dass es z.B. in Deutschland keine einzige olympische Halfpipe gibt.

Beispiel 3: Beim Eiskunstlauf gab es noch vor dem Auftakt der Wettbewerbe einen erbitterten Streit um die einseitige Konzentration auf Sprungelemente im neuen Wertungssystem. Und auch wenn mit dem US-Amerikaner Evan Lysacek ein Athlet gewann, der keinen Vierfachsprung gezeigt hatte, so hatte doch z.B. der Schweizer Pirouetten-Künstler Stéphane Lambiel trotz hinreißender Kür keine Chance auf eine Medaille. Zu schwach waren seine Sprünge.
Beispiel 4: Zahlreiche Stürze prägten die Speed-Disziplinen im alpinen Skisport. Die Schwedin Anja Pärson stürzte bei der Abfahrt nach einem Sprung über 60 Meter schwer. Allerdings nicht so schwer, da sie zwei Tage später in der Super-Kombination wieder an den Start gehen und prompt die Bronzemedaille gewinnen konnte. Etwas Ähnliches hatte zuvor die slowenische Langläuferin Petra Majdic geschafft. Majdic belegte im Sprint Platz drei, obwohl sie sich zuvor bei einem Trainingssturz vier Rippen gebrochen und einen Lungenriss zugezogen hatte. Eine Heldengeschichte für die Medien, obwohl der Start aus medizinischer Sicht eher fahrlässig als heldenhaft war.
Beispiel 5: Spektakuläre Bilder lieferte die Premiere des Skicross. Gleich vier Konkurrenten duellieren sich auf einer engen und mit Sprungschanzen gespickten Piste. Da sind Kollisionen und Stürze nicht nur vorprogrammiert, sondern wegen des hohen Unterhaltungswerts wohl auch gewollt.

Teufelskreis

Fünf Beispiele, die belegen, dass das olympische Motto längst in „Höher, schneller, weiter, spektakulärer“ erweitert wurde. Eine Entwicklung, die dem ursprünglichen Sinn des Sports als Körper- und Bewegungskultur, in der sich der Mensch ästhetisch entfalten kann, zuwiderläuft.
Der Sport des 21. Jahrhunderts ist mehr denn je ein Unterhaltungsgeschäft, wovon ein großer Teil der Athleten profitiert. Durch die Medienwirksamkeit internationaler Erfolge hat sich die Förderung des Spitzensports verbessert. Und natürlich lockt das riesige Medieninteresse Sponsoren, die Verdienstmöglichkeiten der Spitzenleute sind immens.
Der Preis dafür kann jedoch hoch sein, wenn die Sportler sich in einem Teufelskreis befinden, der „Höher, schneller, weiter, spektakulärer und gefährlicher“ mit unterhaltsam und medienwirksam gleichsetzt.