Solidarität ade

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Politiker, egal aus welcher Partei sie auch sein mögen, verweisen – so weit es ihnen in den Kram passt – immer gerne auf das Wahlprogramm ihrer Partei, um zu zeigen, dass sie auch so handeln, wie sie das vor den Wahlen angekündigt haben.

Jean-Claude Juncker sagte anlässlich des außerordentlichen Nationalkongresses seiner Partei am vorigen Donnerstag, dass die Anfangsgehälter beim Staat auf jeden Fall gekürzt werden, die Partei hätte dies ja in ihrem Wahlprogramm auch angekündigt. Und da die Partei die Wahlen ja haushoch gewonnen habe, werde man das auch jetzt so tun. In der Tat, es steht tatsächlich Wort für Wort so im christlich-sozialen Wahlprogramm.

Wahlprogramme sind für einen Journalisten eine Fundgrube, denn es finden sich auch solche Ankündigungen darin wieder, die nachher niemand gesagt haben will. Kurz vor den Aussagen zu den Gehältern beim Staat stehen einige interessante Sätze bezüglich der Solidarität zwischen Luxemburgern und Nicht-Luxemburgern, Einheimischen und Grenzgängern. Sie wird dort als Voraussetzung für den sozialen Zusammenhalt gepriesen.

Die vorige Woche durch das Parlament gepeitschte Reform der Studienbeihilfen versetzt dieser Solidarität allerdings einen herben Schlag. Das Kindergeld für Kinder über 21 Jahre wurde abgeschafft, ganz gerecht für alle; die Studienbeihilfen erhalten aber lediglich die Einheimischen.

Nationalismus

Fast schon sarkastisch mutete die Aussage des CSV-Parlamentariers Norbert Haupert an, die Grenzgänger könnten ja in ihrem Ursprungsland Studienbeihilfen anfordern. Der gute Mann scheint dabei zu vergessen, dass diese dort wohl weit niedriger sein werden. Auch steht das Argument des Berichterstatters des besagten Gesetzes, Lucien Thiel, ein Land müsse sich primär um seine Studenten kümmern, auf wackligen Füßen. Der Reichtum, der in unserem Land geschaffen wird, wird es zu einem großen Teil dank der Grenzgänger: Sie bezahlen bei uns ihre Steuern, was sie wohl dazu legitimiert, auch von den sozialen Errungenschaften des Großherzogtums zu profitieren. Als im Wahlkampf die DP mit dieser nationalistischen Idee kam, wurde sie von links und rechts kritisiert. Aber getreu dem Motto „was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“ wurde die populäre, aber dadurch nicht weniger ungerechte Maßnahme nun von CSV und LSAP getroffen. Man braucht sich nicht zu wundern, dass sich in Luxemburg Parallelgesellschaften bilden, die zwar nebeneinander arbeiten, aber sonst nicht mehr viel gemeinsam haben.

Den Vogel schoss Norbert Haupert jedoch ab, als er behauptete, die neuen Studienbeihilfen seien nicht als Ausgleich zum Verlust von Kindergeld und Kinderboni zu betrachten. Sein Vorredner Lucien Thiel, ebenfalls CSV, hatte ein paar Minuten vorher exakt das Gegenteil behauptet: Sozusagen als Ersatz für das Kindergeld werde nun ein System von Studienbeihilfen geschaffen.

Schön eingepackt wird die Mogelpackung mit dem Etikett „Paradigmenwechsel“: Der Student werde nun als unabhängiger Mensch betrachtet. Das mag wohl sein, aber im Endeffekt ist es dem Studenten wahrscheinlich egal, warum er das Geld erhält, Hauptsache er kann studieren. Dass es bei der Reform ganz allein ums Sparen geht, hat Lucien Thiel offen gesagt. Warum also das ganze Gerede vom Paradigmenwechsel? Es handelt sich dabei um eine rhetorische Wortspielerei, die einzig und allein davon ablenken will, dass hier ein Teil der Steuerzahler gegen den anderen ausgespielt wird. Entgegen der Behauptung von Lucien Thiel versucht sich der Staat sehr wohl an den Grenzgängern gesundzustoßen. Und weil die Sparmaßnahme (Streichung des Kindergelds) unpopulär ist, muss sie dem Wahlvolk halt versüßt werden.

Claude Molinaro
cmolinaro@tageblatt.lu