Sex- und Tea-Partys

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Wie in einer schlechten Telenovela: Zuerst Noemi, dann „Ruby“ und jetzt wohl auch Nadia. Hübsche junge Frauen dominieren die Schlagzeilen in Italien. Nicht den Unterhaltungsteil, sondern den Politikteil: als junge Gespielinnen Berlusconis.

Janina Strötgen
jstroetgen@tageblatt.lu

Analysen über die wahren Probleme des Landes, vor allem die systematische Zerstörung der demokratischen Kultur, geraten in den Medien immer mehr in den Hintergrund. Dass der Parlamentspräsident Gianfranco Fini nun am Sonntag den Rücktritt Berlusconis forderte und damit drohte, „seine“ Minister aus der Regierung abzuziehen, wird daran auch nichts ändern. Der postfaschistische Fini hat nicht viel mehr zu bieten als blumige Phrasen und wolkige Ideen. Und Hysterie und Voyeurismus triumphieren nun mal über politische Analyse und mediale Aufklärung. Nicht nur in Italien.

Berlusconis eigenes Medienimperium hält ihm natürlich auch weiterhin die Stange und vertuscht alle politischen Probleme. Doch auch den meisten unabhängigen in- und ausländischen Medien scheinen pikante Details über seine sexuellen Eskapaden viel unterhaltsamer als Italiens Staatsverschuldung oder die Jugendarbeitslosigkeit. Oder gar Berlusconis mutmaßliche Delikte, für die er bereits vor Gericht stand oder steht: Steuerhinterziehung, Bilanzfälschung, Bestechung. Dabei ist er als Regierungschef, der sich über dem Gesetz glaubt und dies nun auch noch in der Verfassung festschreiben will, viel bedrohlicher für die italienische Demokratie als in seiner Rolle als lächerlicher Lustgreis.

In Italien dominieren Sex-Partys die Nachrichten, während in den USA, auch nach den Kongresswahlen, die politischen Absichten der Tea Party die ganze Aufmerksamkeit der Medien bündeln. Nachrichtenkanäle, wie der erzkonservative Kabelsender Fox News, berieseln weiterhin die Bevölkerung mit den kruden Aussagen der populistischen Schreihälse, von denen einige nun im Kongress sitzen. Dabei sind Marktanteile alles, politische Aufklärung oder demokratische Kultur gelten nichts. Nachrichtensendungen werden Teil der Unterhaltungsindustrie im Interesse ihrer Großaktionäre. Die verdummende Dauerpropaganda ihrer Kanäle für blindwütigen Marktglauben und gegen Steuern, soziale Gerechtigkeit, Gesundheits- und Finanzreform wird vor allem ihnen nützen.

Aber Nachrichten über „Politiker“ wie Christine O’Donnell, die „Ex-Hexe“, die Masturbation für Ehebruch hält, waren und sind wohl für die Zuschauer einfach prickelnder. O’Donnell wurde zwar nicht gewählt, aber nach der Wahl ist vor der Wahl: Sarah Palin, schrille Kommentatorin bei Fox News und gleichzeitig aussichtsreichste Kandidatin der Republikaner für die Präsidentschaftswahl 2012, schaltete am Tag nach der Wahl sofort neue Werbespots und spricht nun davon, dass die Kongresswahlen nur der erste Schritt waren, die USA bald ganz zurückzuerobern.

Medialer Hofnarr = moralische Instanz?

Drei Tage vor den Kongresswahlen hatte der US-Komiker Jon Stewart noch 200.000 Menschen in Washington versammelt, um der Hysterie der rechten Tea Party und ihrer Organe die Stirn zu bieten. In seiner medienkritischen Abschlussrede meinte er: „Die Presse ist unser Immunsystem. Wenn sie bei allem überreagiert, werden wir am Ende noch kranker.“ Und vor allem werden dann komplexe politische Sachverhalte nicht mehr von den Medien analysiert, was aber die Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie ist.

In den USA gilt Stewarts Nachrichtenparodie „The Daily Show“ vielen vor allem jungen Amerikanern mittlerweile als einzige glaubwürdige und unabhängige Nachrichtenquelle. Wie in Shakespeares King Lear scheint es so, als könne nur noch der mutige Narr es sich erlauben, die Wahrheit zu sagen. In welchen Zeiten leben wir eigentlich, wenn der mediale Hofnarr zur einzigen moralischen Instanz wird? In einer Neuauflage des Mittelalters? Wir brauchen ein neues Zeitalter der Aufklärung, nicht nur in den USA!