Sex and crime

Sex and crime

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Es ist unbestreitbar: Es gibt kulturelle Unterschiede zwischen Amerika und Frankreich.

Besonders stark lassen sich diese auch im Umgang mit Sexualität und vor allem in der Berichterstattung über das Sexualleben öffentlicher Personen erkennen.

Janina Strötgen
jstroetgen@tageblatt.lu

Während der prüde Puritanismus in Amerika leicht zu Obsession und Hysterie führt – man denke an Clintons Lewinsky-Affäre – wird in Frankreich das turbulente Sexleben bekannter Politiker entweder nach dem Prinzip des „jardin secret“ geheim gehalten oder aber mit einem Augenzwinkern – was für ein Kerl! – als salonfähig bewertet. Die amerikanische Prüderie steht im Kontrast zum französischen Machismo.

Natürlich gehört die Privatsphäre geschützt. Und das Sexualleben von Politikern ist zunächst einmal Privatsphäre. Allerdings gibt es drei Fälle, in denen die Informationspflicht des Journalisten vor dem Schutz dieser Privatsphäre stehen muss. Erstens: Wenn das private Sexualverhalten im Gegensatz zur Meinung, die der Politiker öffentlich vertritt, steht. Wettert er beispielsweise gegen Schwule oder Abtreibung, ist aber selber homosexuell oder zwingt seine Freundin zu einer Abtreibung, sollte dies von Journalisten aufgedeckt werden. Heuchelei gehört entlarvt. Zweitens: Wenn das Sexualleben das politische Handeln beeinflusst. Ist der Politiker wegen seiner Eskapaden zu erschöpft oder abgelenkt, um seinen Pflichten nachzukommen, müssen Journalisten darauf hinweisen. Wenn er seinen Mätressen gute öffentliche Jobs verschafft, sowieso. Und drittens: Wenn ein Politiker gegen das Gesetz verstößt.

Der Irrglaube mächtiger Männer

Bis zum Beweis des Gegenteils ist DSK unschuldig. Doch den kulturellen Unterschied zwischen Amerika und Frankreich in Bezug auf die DSK zur Last gelegten Taten ins Felde zu führen, ist völlig fehl am Platz. DSK steht unter dem Verdacht versuchter Vergewaltigung. Und das ist nicht nur in Amerika, sondern auch in Frankreich ein Verbrechen, das bestraft gehört.

Zu leicht verfallen mächtige Männer dem Irrglauben, ihre Macht müsse doch für alle Frauen attraktiv sein. Vor den Folgen dieses Irrglaubens müssen Frauen in einem Rechtsstaat beschützt werden. Deshalb werden Jean-François Kahn („un troussage de domestique“) oder Jack Lang („il n’y a pas mort d’homme“) völlig zu Recht als die „Pires avocats de DSK“ (Libération) betitelt. Denn zum Glück sind die Zeiten vorbei, in denen mächtige Männer sich an ihren „Bediensteten“ vergreifen dürfen.

Dass dabei Teile der US-Prozedur in Europa auf Ablehnung stoßen, steht auf einem anderen Blatt. Dies gilt vor allem für den „Prep Walk“ dieses zeitgenössische Spießrutenlaufen des mutmaßlichen Täters. Obwohl auch in den USA die Unschuldsvermutung gilt, ist es gängige Praxis, Verdächtige öffentlich in Handschellen vorzuführen. Diese Justizperformance mag zu Recht schockieren, sollte jedoch nicht davon ablenken, dass die Vorwürfe gegen DSK wirklich schwerwiegend sind. Eine Anklage wegen versuchter Vergewaltigung ist völlig anders zu bewerten und zu kommentieren als das Wissen um eine oder auch mehrere Affären eines Politikers.

Auf einige Frauen wirkt Macht attraktiv, sie fühlen sich zu mächtigen Männern sexuell hingezogen – manchmal auch nur, weil der Nutzen größer ist als der Ekel. Dennoch macht sich durch Sex niemand strafbar, solange er unter Erwachsenen in gegenseitigem Einverständnis geschieht.

Doch genau dieses Einverständnis, glaubt man der Anklage, soll in der Affäre DSK nicht gegeben gewesen sein. Tatsächlich kann es noch eine ganze Weile dauern, bis feststeht, was in Zimmer 2806 des New Yorker Sofitel wirklich passiert ist. Wir können sicher sein, dass die Medien uns diesseits und jenseits des Atlantiks über jede noch so kleine Entwicklung des Prozesses unterrichten werden. Denn welches Thema ist verkaufsfördernder als Sex und hohe Politik, als Sex und crime?