/ Schulisches Dilemma
Ob im Kontext der Schule oder des Berufslebens. Und vielleicht gibt es sogar – vor allem in Luxemburg – noch heute viele Eltern, Lehrer, Pädagogen und Entscheidungsträger, die dieser Meinung sind. Haben sie recht? Oder unrecht?
Eigentlich dürfte in der heutigen Zeit die Frage „Sprachen oder Naturwissenschaften?“ in dieser Form nicht mehr gestellt werden. Eine entsprechende hierarchische Gliederung in die Schulfächer bringen zu wollen, ist nämlich ein bisschen so, als ob man erklären würde, das Herz sei das wichtigste Organ des menschlichen Körpers.
Sicherlich erfüllt das Herz im wahrsten Sinne des Wortes eine vitale Funktion, doch ohne (intakte) Leber (um nur diese zu nennen) ist kein menschlicher Organismus lebensfähig.
Ähnlich verhält es sich mit Sprachen und Naturwissenschaften.
Die einen ohne die anderen (dies gilt in beide Richtungen) erlernen zu wollen, ist in der heutigen Zeit ein unsinniges Unterfangen.
Nicht, dass man ohne wissenschaftliche Kenntnisse keine Sprachen erlernen könnte. Und auch mit eingeschränkten Sprachkenntnissen kann man es zum Wissenschaftler bringen. Fakt ist aber, dass wir – ob einem das nun gefällt oder nicht – in einer Welt der Globalisierung sowie des extrem schnellen technologischen Wandels leben. Und in dieser Welt sind bestmögliche Sprachkenntnisse (weil „globale“ Welt) sowie das Beherrschen solider wissenschaftlicher Grundkenntnisse (weil „technologisierte“ Welt) Voraussetzung und Garant gleichermaßen für ein erfolgreiches nicht nur berufliches, sondern auch gesellschaftliches Bestehen.
Herausforderungen
Diese Feststellung ist nicht sonderlich überraschend und verhältnismäßig simpel, stellt das hiesige Bildungssystem aber vor vergleichsweise große Herausforderungen.
Dass die Vielsprachigkeit Luxemburgs bzw. die in Luxemburgs Schulen gelehrte Vielsprachigkeit mehr Vorteil als Nachteil ist und als solcher auch unbedingt bewahrt werden muss, darin sind sich alle bildungspolitisch Verantwortlichen einig.
Ressortministerin Mady Delvaux-Stehres hat sich zuletzt auf der Pressekonferenz zur diesjährigen „Rentrée scolaire“ auch dahingehend geäußert. Aber auch den Naturwissenschaften will man genügend Platz einräumen. Prinzipiell, sprich theoretisch, herrscht also Einigkeit. In der Praxis sieht das Ganze aber anders aus. Denn im Rahmen der Reform der Unterstufe des Sekundarunterrichts (die übrigens morgen Mittwoch offiziell vorgestellt wird), aber vor allem im Vorfeld der Reform des „cycle supérieur“, werden die Betroffenen – gemeint sind die Sprachlehrer einerseits und die Wissenschaftslehrer andererseits – alles daran setzen, ihr Brot sprich ihr jeweiliges Fach und die ihm zugedachten Schulstunden zu verteidigen.
Zwar ist diese Haltung nachvollziehbar, doch ist sie, dadurch dass sie – möglicherweise auch unbewusst – beide Fachrichtungen gegeneinander ausspielt, der allgemeinen Diskussion über eine Neuausrichtung des luxemburgischen „Secondaire“ nicht unbedingt förderlich.
Dem Bildungsministerium kommt demnach die schwierige Aufgabe zu, der globalen Entwicklung Rechnung zu tragen, ohne dabei die Luxemburger Eigenarten (also die Drei- oder Mehrsprachigkeit) bzw. die bildungspolitischen Probleme (hoher Prozentsatz an Schulabbrechern, schlecht ausgerichtete Hochschulreife …) aus den Augen zu verlieren.
Ob der Ausweg aus diesem „Dilemma“, wie dies bereits vor einigen Wochen von politischer Seite angedacht wurde, über zwei verschiedene Ausbildungswege im „Secondaire“ – einen vielsprachigen und einen wissenschaftlichen – führt, bleibt aufgrund noch fehlender Details abzuwarten. In jedem Fall sollte die Frage, ob die noch im Detail zu definierenden Ziele im Rahmen der aktuellen wöchentlichen Schulzeit erreicht werden können, nicht von vornherein ausgeklammert werden.
Tom Wenandy
twenandy@tageblatt.lu