/ Schlechte Laune
An diese These knüpft der amerikanische Mathematiker John L. Casti in seinem neuesten Buch mit dem aussagekräftigen Titel „Mood matters“ an, wenn er behauptet, dass nicht die Ereignisse in der realen Welt unsere Zukunft prägen, sondern vor allem fiktive kollektive Erwartungen, Hoffnungen und Ängste.
Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu (Bild: Tageblatt)
Anhand von einleuchtenden Beispielen aus den letzten 100 Jahren und mithilfe der Spieltheorie zeigt er, wie Wahlergebnisse, Börsenkurse, Katastrophen und Krisen, aber auch Geburtenraten und Rocklängen von Stimmungen gesteuert werden.
Angesichts der Euro-Krise eine vielleicht etwas simplizistische, aber in jedem Fall spannende These, auf die sich auch gerne sich dem Optimismus verpflichtet fühlende Zukunftsforscher stürzen.
Spielen wir ihr Szenario durch: Auf die schlichten Fakten – die durch die Banken ausgelöste Immobilienkrise, die darauffolgende Schuldenkrise, erst in den USA, dann in Europa, die daraus resultierenden Euro-Rettungsaktionen der Politiker – komme es nicht an, wenn man nach den Ursachen der Krise forsche. Vielmehr sei die Krise ein Ergebnis kollektiver Angstproduktion, „aufgeschaukelte Angst, kopierte Angst, von Hirn zu Hirn marodierende Angst, eine kollektive Infektion“, schreibt der doch recht populärwissenschaftliche Zukunftsforscher Matthias Horx. Die Krise sei nur deshalb eine solche, weil alle an sie glaubten.
Die Macht der Vorstellung
Kaum zu glauben? Vielleicht. Dennoch ist an diesen Behauptungen sicherlich etwas Wahres dran. Schließlich wird der Mensch nicht nur von seiner Vernunft, sondern vor allem von seinen Affekten geleitet, die Geschichte zeigt, dass Politik viel stärker von Stimmungen als durch nüchternes Kalkulieren geprägt wird. Und die Stimmungsmacher im europäischen Diskurs, allen voran die Medien, verbreiten nun mal eher Angst als Hoffnung. Karikaturen quer durch alle europäischen Länder haben den Euro schon für tot erklärt, nicht nur der Boulevard, sondern auch viele seriöse Medien entwerfen Untergangsszenarien Europas und übertrumpfen sich in angsteinflößenden Überschriften und Schlagzeilen: „Panik in Euroland“, „Gipfel der letzten Chance“, „Sprengsatz Staatsschulden“, „Die PIGS sind wieder da“ … Panikmache verkauft sich nun mal besser als nüchterne Analyse.
Doch nicht nur die Medien, sondern die Politik selbst ist für die Stimmung in Europa verantwortlich. In Anbetracht der realpolitischen Herausforderungen führen die meisten Politiker nur noch ökonomische Diskurse und haben den symbolischen Diskurs vollkommen vergessen. Doch Europa braucht eine den unmittelbaren Handlungszwängen übergeordnete Vision, die nur diskursiv hervorgebracht werden kann. Europa braucht Diskurse, in denen die Finalität der europäischen Integration imaginiert und ein europäisches Identitätsbewusstsein gefördert wird. Helfen würde schon, das Wort „Krise“ durch das Wort „Wandel“ zu ersetzen. Bei den Geschehnissen in Europa handelt es sich schließlich nicht um einen dramatischen Wendepunkt, sondern um einen sich ständig weiterentwickelnden Prozess. Und Transformation heißt nicht zwangsläufig Verschlechterung.
Deshalb braucht Europa Stimmen, die uns sagen, dass vermeintliche Evidenz kritisiert und sogar zerstört werden kann, dass Institutionen willkürlich sind, dass Europa viel Raum für politische Fantasie und Gestaltung bietet, dass Wandel hin zu mehr europäischer Integration immer noch möglich ist. Sind diese Stimmen glaubwürdig, verbessert sich die Stimmung. Und dann könnte doch auch wieder alles vorstellbar werden …
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