Rhetorische Platzpatronen

Rhetorische Platzpatronen

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Wir erheben den Zeigefinger im Europa der 27, appellieren an die Geschlossenheit der syrischen „Opposition“ und sind zu gewünschter Kohärenz selbst nicht in der Lage. Wirtschaftsembargo, ja. Waffenlieferungen, nein. Also, ja.

Paris und London üben sich im Vorfeld der geplanten Syrien-Konferenz (Genf II) im diplomatischen Säbelrasseln. Unter ihrem Einfluss lässt die Europäische Union ihr Waffenembargo gegen Syrien theoretisch auslaufen. Die Gefahr eines nationalen Alleingangs in Sachen Waffenlieferungen soll Druck auf Assad ausüben. Ihn zu Konzessionen am Verhandlungstisch zwingen. Nicht mehr und nicht weniger. Dass keine Patentlösung zur Befriedung Syriens existiert, steht außer Frage. Aber unabhängig vom gefassten Beschluss ist die Entscheidungsfindung der EU-Außenminister ein Akt der Dissonanz.

Dhiraj Sabharwal dsabharwal@tageblatt.lu

Wie soll Druck auf ein in seiner Brutalität und politischen Linie kohärentes Regime ausgeübt werden, wenn man am Tag des Beschlusses zurückrudert und erklärt, die getroffene Entscheidung werde am 1. August im Lichte von Genf II neu diskutiert? Und wieso hecheln 25 EU-Staaten zwei gleichgestellten Mitgliedstaaten hinterher? Weil Letztere von den USA vor sich hergetrieben werden, Verbündete im UN-Sicherheitsrat sind und historisch betrachtet im Zweifelsfall auf Alleingänge setzen?

Frage der Glaubwürdigkeit

Das Resultat ist auf jeden Fall eine europäische Außenpolitik des „kleinsten gemeinsamen Nenners“ (dixit Außenminister Jean Asselborn). Obschon sich zahlreiche Staaten gegen die Aufhebung des Embargos ausgesprochen haben, bleibt der bittere Nachgeschmack, dass die EU-Diplomatie unglaubwürdig ist. Weil die Union, wie so oft, keine von der Mehrheit gewollte, sondern eine von einer Minderheit auferlegte Lösung duldet.

Trotz oder gerade wegen des Kompromisses in „letzter Minute“ wird die außenpolitische Bedeutung der EU wieder einmal gezielt untergraben – wir erinnern an dieser Stelle nur en passant an Baroness Ashton, das tragische außenpolitische Gespenst. Die Bilanz ist somit eindeutig. Der Versuch der EU-27, ihren verlorenen Einfluss im syrischen Bürgerkrieg zurückzugewinnen, ist gescheitert. Nationale Alleingänge bleiben an der Tagesordnung. Selbst die USA und Russland haben sich zeitweise darauf geeinigt, sich uneins zu sein … was zynisch genug ist. Aber auf ihr Bestreben hin wurde immerhin Genf II ins Leben gerufen. Die Angst vor religiösen Fanatikern und dem Entstehen eines „failed state“ eint sie punktuell.

Die theoretische Möglichkeit der EU-Staaten, Waffen zu liefern, kommt im Vergleich zu Genf II dürftig daher. Sie ist zudem brandgefährlich: Waffen, die im Falle der Lieferung in die Hände von Dschihadisten geraten könnten; ausbleibender Druck auf Assad wegen der geplanten EU-Diskussionen am 1. August; das Scheitern einer einheitlichen EU-Außenpolitik.

Außerdem schüren halbherzige Drohungen dieser Art Ängste und Hoffnungen über alle Bevölkerungsschichten hinweg. Assad und die Regimetreuen fühlen sich in ihrem gnadenlosen Handeln bestärkt, da die EU genauso wie die USA „rote Linien“ zeichnet, ohne aber Konsequenzen daraus zu ziehen. Der kleinere der beiden NATO-Partner folgt schließlich dem großen Bruder auf Schritt und Tritt. Oppositionelle Kräfte und religiöse Extremisten sehen sich wiederum vom Westen hingehalten und lassen sich von finanzierfreudigeren Kräften einspannen (Katar, Saudi-Arabien, Al-Kaida, die Muslimbrüder usw.).

Die Briten und Franzosen hätten besser daran getan, ihre Drohgebärden, wenn nötig, erst nach Genf II zu verstärken. Das Drohpotenzial der EU erinnert nun an rhetorische Platzpatronen mit Eskalationsgefahr.