Politischer Imageschaden

Politischer Imageschaden

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Täter oder Opfer? Welches Attribut trifft wohl am ehesten auf die Neu-Abgeordnete Tessy Scholtes zu, die vor knapp einer Woche als Nachfolgerin des verstorbenen CSV-Politikers Mill Majerus ins Parlament nachrückte?

Diese Frage ist nicht ganz leicht zu beantworten.

Tom Wenandy
twenandy@tageblatt.lu

Dafür, dass sie „Täter“ (bzw. „Täterin“) ist, spricht, dass die ehemalige Karateka nicht von Anfang an, will heißen spätestens bei ihrer Vereidigung, erklärt hat, dass trotz allen Entscheidungen auf welcher Ebene auch immer bzw. trotz der allgemeinen Gesetzeslage, sie im Falle eines Ausscheidens aus der „Chamber“ ihre „Stage“-Zeit als Lehrerin „en bonne et due forme“ absolvieren würde. Hat ihr anfänglich der Gedanke, als Abgeordnete ohne die sonst obligate „Stage“-Zeit zum „Prof“ zu avancieren, doch vielleicht gefallen? Und war es nur der öffentliche (und politische) Druck, der sie zum Umdenken bewegte?

Oder aber wurde Tessy Scholtes vielleicht nicht oder nur schlecht beraten und hat sie die Situation nur falsch oder überhaupt nicht eingeschätzt? In letztgenanntem Fall wäre sie, wenn man so will, lediglich Opfer.

In beiden Fällen aber – als „Täter“ ebenso wie als „Opfer“ – gibt Tessy Scholtes kein sonderlich gutes Bild ab. Hätte sie kommentarlos und ganz bewusst ihr „Privileg“, die „Stage“-Zeit nicht normal absolvieren zu müssen, in Anspruch genommen, hätte sie gleichzeitig sowohl die Lehrerausbildung als auch den Berufsstand diskreditiert. Was intellektuell und moralisch unehrlich (um nicht zu sagen verwerflich) wäre.

Hat sie sich aber keine Frage in diesem Punkt gestellt, muss sie sich den Vorwurf gefallen lassen, naiv und unkritisch zu sein. Keine sonderlich guten Voraussetzungen, weder für die Ausübung des Lehrerberufs noch eines Abgeordnetenmandats.

Hauptopfer

Aber wie auch immer. Zu streng sollte man mit der CSV-Abgeordneten vielleicht nicht sein und ihr letzten Endes ihr junges Alter bzw. ihre Unerfahrenheit zugute halten. Vielleicht war diese erste Erfahrung, dass in der Politik mit anderen Bandagen gekämpft wird als auf dem Tatami, eine für ihre zukünftige Karriere (ob als Politikerin oder als Lehrerin) heilsame. Zumal es ganz allgemein und unabhängig von jedweder Couleur begrüßenswert ist, wenn sich junge Leute für Politik interessieren und sich sogar engagieren.

Womit wir bei dem eigentlichen Täter, gleichzeitig aber auch bei dem Hauptopfer der „Causa Tessy Scholtes“ wären: der Politik. Diese hat sich in dem vorliegenden Fall nämlich nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Da ist einerseits das Parlament. Unabhängig von dem medialen Chaos (ein in seinen Aussagen nicht gerade souverän wirkender CSV-Fraktionspräsident erklärt, das Parlament sei in die Diskussionen im Fall Scholtes miteinbezogen worden, die Opposition behauptet genau das Gegenteil) kann man sicherlich mit dem Hinweis auf die Gewaltentrennung sagen, das Parlament habe in diesem Zusammenhang kein Wort mitzureden gehabt.

Trotzdem wurde durch den angesprochenen Fall das bei einigen Bürgern vorherrschende Bild verstärkt, dass die Rolle des Parlaments nicht mehr als eine Statistenrolle ist und sich seine Hauptaufgabe darauf beschränkt, Vorschläge der Regierung „durchzuwinken“.

Andererseits ist da aber eben auch die Regierung. Zwar konnte diese sich letzten Endes darauf berufen, entsprechend dem geltenden Recht entschieden und Tessy Scholtes nicht bevorzugt behandelt zu haben, sonderlich glücklich (bzw. sonderlich gut durchdacht) war die Entscheidung, Tessy Scholtes nach mindestens drei Jahren auf Krautmarkt von der „Stage“-Pflicht zu entbinden, dennoch nicht.

Vor allem Bildungsministerin Mady Delvaux-Stehres hätte im Sinne der Verteidigung der Glaubwürdigkeit und der Qualität des Luxemburger Bildungssystems hier intervenieren und für eine gesetzliche Präzisierung plädieren müssen.

Vielleicht hätte die Regierung die Gelegenheit nutzen können, um eine allgemeine Debatte über die Entlohnung bzw. die Laufbahnentwicklung von im Staatsdienst beschäftigten Abgeordneten anzustoßen. Diese Chance wurde aber verpasst.

Bleibt die (schwache) Hoffnung, dass sich im Sinne des Landes der entstandene Image-Schaden für die Politik, aber auch und vor allem für das hiesige Bildungssystem, in Grenzen halten wird.