Politik auf dem Drahtseil

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Als Hauptgrund für die europäische Schuldenkrise gelten die über Jahre hinweg ausufernden öffentlichen Haushalte. So jedenfalls lautet die Erzählung, die in Europa bestimmend ist.

Die Lösung der Schuldenkrise läge demnach logischerweise darin, dass die Staaten dazu gezwungen werden, ihre Haushalte wieder ins Lot zu bringen, sprich die Ausgaben drastisch zu kürzen und nach und nach die Schulden abzubauen.

Sascha Bremer sbremer@tageblatt.lu

Diese Darstellungsweise der Krise gilt natürlich ganz besonders für Griechenland, wo der öffentliche Geldhahn dermaßen aufgedreht wurde, dass die finanzielle Situation letztendlich in der Katastrophe endete und das Land, wenn auch nicht offiziell, so aber faktisch bankrott ging.

Andere Länder sind allerdings auf einem anderen Wege in die Schuldenkrise. Spanien oder Irland etwa waren vor 2008 Musterschüler in puncto öffentliche Ausgaben. Die Maastricht-Kriterien wurden, wenn auch nicht immer zu hundert Prozent, so aber im Großen und Ganzen eingehalten. Auslöser der Krisen hier waren der Zusammenbruch des Immobilienmarktes und die Bankenrettung. Auch Italien hatte – die seit Jahrzehnten chronisch hohe Gesamtverschuldung des Staates einmal ausgenommen – relativ stabile finanzielle Parameter vorzuweisen. Natürlich verschärft das sehr schwache (offizielle) Wachstum der italienischen Wirtschaft die Probleme des Landes.

Die Beispiele Italien, Spanien und Irland zeigen allerdings, dass die Austerität, also die einseitige Politik der „Einsparung“, letzten Endes als Brandbeschleuniger wirkt und eben nicht das Feuer löscht. Die Annahme, die Austeritätspolitik sei wachstumsfreundlich, mag ihre Anhänger haben. Bei näherer Betrachtung der wirtschaftlichen und finanziellen Lage dieser Länder zeigt sich, dass die Krise dazu geführt hat, dass die privaten Investitionen zurückgefahren wurden und die Unternehmen und Menschen entweder zu einem vermehrten Sparen oder aber zum Schuldenabbau übergingen.

Erst „Reformen“, dann Wachstum?

Von dieser Seite sind demnach keine Impulse für das so bitter benötigte Ankurbeln der Wirtschaft zu erwarten. Zu unsicher sind die Zukunftsaussichten, als dass der Privatsektor sich hier bewegen würde. Sofern man Geld hat, wird es lieber gehortet. Hier wäre demnach das Einspringen der öffentlichen Hand gefragt, um den Motor wieder anzuwerfen.

Doch genau dieser Weg ist gerade dabei, von Angela Merkel mit der Schuldenbremse und der Neuauflage der Maastrichter Kriterien versperrt zu werden. Entgegen den rezenten Warnungen von Christine Lagarde und dem Internationalen Währungsfonds. Sogar die Ratingagentur S&P nannte als Hauptgrund für die Herabstufung der Bonität der meisten Länder Europas die fehlende Wachstumsperspektive.

Wäre die Lage nicht so tragisch und die Analyse diesmal sogar vorab nicht so zutreffend, man könnte fast über die Wende der Betrachtungsweise der so gescholtenen Ratingagentur lachen.

Einer gewissen Ironie entbehrt es jedenfalls nicht, wenn eine in vielen Hinsichten diskreditierte Ratingagentur einer immer mehr diskreditierten politischen Elite auf einmal die einseitige Austeritätspolitik zur Last legt und sie daran erinnert, dass es auch so etwas wie Gemeinwohl gibt.

Doch genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Das Zusammenspiel zwischen der Austeritätspolitik und einer nicht vorhandenen Wachstumspolitik wird von der Politik benutzt, um etwa Griechenland zu brachialen Reformen zu drängen und auch um anderswo die Spielregeln der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu ändern. Wenn dann die „längst überfälligen Reformen“ umgesetzt sind, wird man wohl wieder auf eine Wachstumspolitik setzen. Gut möglich, dass das Timing dieses Szenarios nicht aufgeht und Europas Peripherie dadurch erst recht in den Abgrund getrieben wird.