/ Paralleles Leben
Das 40 Seiten starke Dokument hat den Zweck, „den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten von allen Menschen mit Behinderung zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu wahren“, wie es in der Präambel der Erklärung formuliert ist.
Robert Schneider rschneider@tageblatt.lu
Nach einer Debatte vergangene Woche im Parlament, die bis auf verbale Ausrutscher des ADR-Politikers Kartheiser (wir berichteten über den Eklat in der Kammer, bei dem zahlreiche Abgeordnete den Plenarsaal aufgebracht verließen) äußerst konsensuell verlief, wurde das Dokument jetzt in nationales Recht umgesetzt.
Wäre nur die Konvention angenommen worden, so würde das Risiko bestehen, dass die hehren Ziele der Erklärung bloßes Lippenbekenntnis blieben. Das Parlament nahm aber auch das Fakultativprotokoll des Textes an, das allen Bürgern nun das Recht einräumt, sich bei Nichteinhaltung der konventionierten Rechte an den internationalen Kontrollausschuss der Vereinten Nationen zu wenden, der via „Communiqués“ ein Land quasi weltweit an den Pranger stellen kann; eine Vorstellung, die sicher zu entsprechenden Anstrengungen bei der Umsetzung führen wird. Nach zwei Jahren wird eine erste Bilanz im Umgang mit behinderten Menschen gezogen, und anschließend achtet die UNO regelmäßig auf den aktuellen Stand der Integration einer Gruppe von Menschen, die größer ist als allgemein angenommen.
Laut der Definition, die in der Konvention zurückbehalten wurde, wird Behinderung definiert als „Wechselwirkung der Situation von Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, mit verschiedenen Barrieren, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können“. Laut europäischen und internationalen Statistiken (für Luxemburg fehlt konkretes Zahlenmaterial) passt diese Definition auf bis zu 15 Prozent der Bevölkerung. Während der Debatte im Parlament wurde die nationale Zahl denn auch auf 50.000 bis 75.000 Betroffene geschätzt.
Das Abschaffen von Barrieren ist das Hauptziel der Konvention, und hier hat Luxemburg großen Nachholbedarf. Die angesprochenen Hürden können dabei baulicher Natur sein. So hatten die Rollstuhlfahrer, die zur Debatte ins Parlament kamen, größere Schwierigkeiten, auf die Publikumstribüne zu gelangen und dort ausreichend Platz zu finden.
Recht auf Selbstbestimmung
Die Barrieren können aber auch sprachliche sein, wie etwa bei den zahlreichen Gehörlosen, denen die Kammer erstmals in ihrer Geschichte eine Dolmetscherin für Gebärdesprache zur Verfügung stellte. Oft sind es aber andere fehlende Vorkehrungen und persönliche Unterstützungsmaßnahmen, mit denen das individuelle Recht der Betroffenen auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung garantiert werden könnte. Dies bemängelt auch die Behindertenvereinigung „Nëmme mat eis“, die zwar nach der Abstimmung jubelte, aber dennoch weitere Fragen aufwirft.
So seien die Behinderten nicht ausreichend in gesellschaftliche Prozesse eingebunden; die bestehenden Strukturen wie der nationale Behindertenrat, Info Handicap und der Oberste Behindertenrat würden ihre Interessen nur unzureichend vertreten.
Außerdem würden die wirtschaftlichen Interessen von Trägervereinen gegenüber der Selbstbestimmung und den individuellen Rechten überwiegen.
Die Lobbygruppe fordert weiter mehr Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, schlichtes „Dabeisein“ durch Barrierefreiheit aller gesellschaftlichen Strukturen, gemeindenahe persönliche Assistenz, inklusive Bildung, Arbeit auf dem regulären Arbeitsmarkt, Anerkennung der Kultur und der Persönlichkeitsrechte.
Die Epoche der Fremdbestimmung soll vorbei sein. Die Behinderten wollen kein paralleles Leben in Sonderschulen und beschützten Werkstätten führen.
Der legale Rahmen hierfür steht also, ein nationaler Aktionstag zum Erreichen der Ziele soll noch bis Ende des Jahres festgelegt werden.
Was noch fehlt, ist das Verständnis beim breiten Publikum um die Forderungen und Ansprüche der Behinderten. Dieses entsteht wohl erst zusammen mit der realen Integration. Erst wenn niemand mehr auf die Idee kommt, den Begleiter eines Behinderten anzusprechen, statt ihn selbst, wird dieser lange Weg zum Ziel geführt haben.
Die Abstimmung war demnach eine Etappe: Ein Zwischenziel ist erreicht.
- Pokal-Finalspiele - 23. Mai 2016.
- Untere Divisionen - 22. Mai 2016.
- BGL Ligue / Ehrenpromotion - 22. Mai 2016.