Orwells Albtraum

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Die heutige Technik macht totale Überwachung möglich. Das wissen wir allerspätestens, seit Edward Snowden mit seinen Enthüllungen über die Methoden der NSA den größten Überwachungsskandal seit dem Kalten Krieg aufgedeckt hat.

Die wichtigste Herausforderung für die Demokratie im 21. Jahrhundert liegt deshalb darin, unsere Freiheit zu schützen. Denn ein überwachter Bürger ist nicht frei. Und ein Staat, der seine Bürger ausspioniert oder ausspionieren lässt, keine Demokratie.

Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu

Doch ein Ohnmachtsgefühl, das sich meistens aus Politikverdrossenheit gepaart mit einem diffusen Verhältnis zum Internet speist, scheint den Durchschnittsbürger zu lähmen. Ihn tatsächlich unfrei zu machen, da er sich nicht mehr in der Lage fühlt, zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu wählen und sich aktiv für das eine und gegen das andere Wahlprogramm zu entscheiden. Die absehbare Folge: Er schlittert passiv – deshalb aber nicht weniger verantwortlich – in einen Überwachungsstaat hinein und fragt sich dann verdutzt, wie es dazu kam.

Es muss aber nicht dazu kommen. Ein Blick in die Geschichte hilft, um uns wieder stärker ins Bewusstsein zu rufen, dass Beobachtung entwürdigt, da ein Mensch, der observiert wird, weder in seinem Denken noch in seinem Handeln frei ist. Haben wir das verstanden, ist die Voraussetzung für mündiges Handeln zurück.

Wir können selbst bestimmen, wie wir mit technischem Fortschritt und somit auch mit den Möglichkeiten des Internets umgehen möchten. Denn zunächst einmal ist das Internet eine Erweiterung des öffentlichen Raums mit neuen Möglichkeiten der Kommunikation und der Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Keiner zwingt uns dazu, diese besonders auch für die individuelle Gestaltungsfreiheit positive Entwicklung in einen Albtraum à la George Orwell umzuwandeln. Das Internet macht Überwachung wohl leichter, deshalb aber noch lange nicht zwingend.

Taktische Ahnungslosigkeit

Die taktische Ahnungslosigkeit bezüglich des Internets, die manche Politiker gerade zur Vertuschung von Abhör- und Überwachungsskandalen an den Tag legen („Das Internet ist für uns alle Neuland“, Originalton Angela Merkel) ist mit schuld am enormen Vertrauensverlust in die Politik und ihre Entscheidungsträger. Sind es doch gerade Politiker, die sich mit Hilfe ihrer PR-Leute, ihrer Persönlichkeitstrainer und ihrer Geheimdienste digitale Möglichkeiten zunutze machen. Wenn sie dann die im Internet lauernden Gefahren instrumentalisieren, um eigenen Missbrauch zu vertuschen, dann verkaufen sie ihre Bürger für dumm. Das oft zur Einschüchterung angebrachte Argument, die Privatsphäre sei im Internetzeitalter zwangsläufig nicht mehr geschützt, ist absurd. Schließlich liegt Freiheit gerade darin, dass jeder individuell entscheidet, wie viel oder wenig er von seinem Privatleben preisgibt – sei es in sozialen Netzwerken oder durch Vorhänge an den Fenstern.

Bleibt noch das Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit, das – wie es scheint – im digitalen Zeitalter wieder einmal neu ausbalanciert werden muss. Digitale Überwachung geschieht schließlich – so der allgemeine Tenor – zur Sicherheit der Bürger. Dass bei der Bekämpfung von Terroristen und Bombenlegern ein bisschen Freiheit und Privatsphäre flöten gehen, müsse der einzelne Bürger nun mal in Kauf nehmen.

Muss er nicht. Denn Sicherheit und Freiheit sind keine sich diametral gegenüberstehenden Werte. Zu glauben, dass wir für einen solch fiktiven Wert, wie es die Sicherheit nun einmal ist, unsere freiheitliche Gesellschaft aufgeben müssen, ist völlig abwegig. Schließlich würden wir dadurch die Terroristen gewinnen lassen, liegt ihr Anliegen doch gerade darin, unsere freiheitliche Lebensform zu bekämpfen.

Wer seine Freiheiten aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren, wie schon Benjamin Franklin wusste.